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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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sollen?
    Inzwischen war Mittag und Anne, die Frau des Rektors, hatte mir ein bisschen Rührei auf Toast gebracht, eingewickelt in Silberfolie, um es warm zu halten. Sie aß zwar nicht mit mir, blieb aber irgendwie in der Nähe, als ob sie auf was wartete. Schließlich quetschte sie auf merkwürdige Weise ein paar Worte raus.
    »Jem, kann ich mit dir sprechen?«
    Ich zuckte die Schultern. War mir egal.
    Sie ging zur Tür und schloss sie, so dass wir in der Sakristei allein waren, nur sie und ich. Sie will mich überreden zu gehen. Ich mach ihrem Mann zu viele Schwierigkeiten , dachte ich, aber ich irrte mich.
    »Es heißt … es heißt, dass du sagen kannst, wann jemand sterben wird.« Ihr Gesicht lag in tiefen Falten, als sie meinen Blick suchte.
    Ich versuchte nicht aufzuschauen, doch ich konnte ihren Blick nicht meiden, ihr Bedürfnis, eine Verbindung herzustellen, war zu stark. 08062011.
    »Oh«, sagte ich und wünschte mir, sie würde nicht fragen.
    »Mir geht es nicht gut, Jem. Ich bin krank. Stephen habe ich nichts davon gesagt, also bitte … kein Wort …«
    Zu hören, wie sie den Namen des Rektors – ihres Mannes – aussprach, machte ihn menschlicher für mich. Ich dachte, vielleicht hab ich ihm Unrecht getan. Ja, er würde noch ungefähr dreißig Jahre leben, aber womöglich würde er den Rest seines Lebens nie mehr so verhätschelt. Vielleicht würden es lauter einsame Abende werden, mit Essen aus dem Schnellimbiss und ein paar selbst gekochten Eiern, in einem leeren Haus.
    »Weißt du … ich muss es wissen. Wie viel Zeit mir noch bleibt. Damit ich alles organisieren und mich drum kümmern kann, dass mit den Kindern alles in Ordnung und für Stephen gesorgt ist.«
    »Kinder?« Noch ein Schock.
    »Na ja, sie sind schon ziemlich erwachsen. Neunzehn und zweiundzwanzig. Aber ich möchte sicher sein, dass sie versorgt sind, versuchen, mich um die Studiengebühren zu kümmern, du verstehst schon.« Sie musste gemerkt haben, dass ich nichts begriff, denn sie lachte nervös. »Na ja, vielleicht verstehst du es auch nicht, aber ich wäre glücklicher, wenn alles geregelt wäre. Glücklich er  … nicht glücklich …« Ihre Stimme verlor sich.
    »Ich kann es Ihnen nicht sagen. Das wär nicht richtig.«
    »Aber du weißt es.«
    Ich kaute auf meiner Lippe.
    »Du weißt es«, wiederholte sie. »Ich sollte nicht solche Angst haben, stimmt’s? In dem wahren und sicheren Wissen um das ewige Leben … « Jetzt standen Tränen in ihren Augen und drohten hervorzubrechen, ihr übers Gesicht zu laufen. »Warum ist das bloß kein Trost?«
    Ich war die Letzte, die man das fragen durfte. Sie saß eine Weile in Gedanken versunken da. Plötzlich dachte ich an Britney und wie ihre Familie mit der Krankheit des Bruders zurechtgekommen war.
    »Ich finde, Sie sollten es ihm sagen«, erklärte ich.
    »Stephen?«
    Ich nickte.
    »Ich weiß. Ich habe es immer aufgeschoben. Weil es nicht so real wirkt, solange es noch ein Geheimnis ist. Manchmal kann ich mir für ein, zwei Stunden vormachen, dass es gar nicht geschehen wird – na ja, zumindest ein paar Minuten lang. Und dann … der andere Grund ist, es wird ihm das Herz brechen.« Ihre Stimme zitterte. »Ich weiß, er ist ein bisschen aufgeblasen und auch streng, aber gemeinsam waren wir stark – ein gutes Team. Wie soll er denn ohne mich zurechtkommen?« Jetzt liefen die Tränen wirklich und sie beugte sich vor und drückte sich das Taschentuch gegen die Augen, als ob sie die Tränen zwingen wollte, drinzubleiben.
    Ich wartete, bis sie aufhörte und sich wieder aufrichtete.
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann«, sagte ich. Und es tat mir echt leid. Ich kam mir total unnütz vor.
    »Oh, aber das hast du, Jem, wirklich. Allein davon zu erzählen hat es mir leichter gemacht, mein Schicksal anzunehmen. Es hat mir Mut gegeben.« Sie nahm meine Hände und ich überwand mich, sie nicht wegzustoßen. Ich konnte nichts sagen. Ich wollte nur, dass sie losließ, ihren Schmerz von mir nahm. Nach einer Weile tat sie es. Sie stand auf, strich ihren Rock glatt und schüttelte den Kopf, als ob sie die Verzweiflung abschütteln würde. Dann ging sie und öffnete die Tür. »Danke, Jem. Gott segne dich.«
    Dabei hatte ich gar nichts gemacht. Als sie anfing zu weinen, war es schrecklich peinlich gewesen, aber auch schwer, nicht mitzuheulen. Ihre Tränen bei dem Gedanken ans Sterben spiegelten meine schleichende Angst, alleingelassen zu werden. Zwei Seiten derselben

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