Den Tod im Griffl - Numbers 3
der Adam heißt. Wer immer die arme Sau ist, den die Leute so anschreien, er tut mir leid.
Ich öffne ein wenig die Augen, aber das Licht ist so hell, dass ich sie gleich wieder schließe.
»Hast du das gesehen? Er ist wieder bei Bewusstsein. Adam. Adam!«
Ich öffne erneut die Augen und ein Kreis von Gesichtern kristallisiert sich aus dem verschwommenen Bild. Müsste ich die Leute kennen? Ich schaue von einem zum andern. In ihre Gesichter mit Augen, Nase, Mund und Zahl, doch ich habe keine Ahnung, wer sie sind oder wer ich bin und wo. Das Einzige, was ich weiß, ist: Ich lebe und atme. Wo bin ich?
Einer von ihnen spricht jetzt mit mir. Ein Gesicht, als wäre es von einer Fahrstuhltür zerquetscht worden. 08112035. Mitte fünfzig, Tweedjacke unterm weißen Kittel. Die Haare, zu braun, kein bisschen grau, seitlich gescheitelt, hängen ihm wie zwei Vorhänge links und rechts über das aufgedunsene Gesicht.
»Adam, wenn du mich hören kannst, dann gib uns ein Zeichen und blinzle.«
Ich verstehe ihn, ich bin mir nur nicht im Klaren, ob ich Adam heiße, aber ich blinzle trotzdem. Eine Woge der Begeisterung läuft durch die Gesichter.
»Gut«, sagt er. »Und jetzt: Kannst du meine Hand drücken?«
Ich schaue an meinem Körper hinab, an dem großen Kragending um meinen Hals vorbei. Der Typ hält jetzt meine linke Hand. Verdammte Scheiße, ich glaub, ich kenn den Kerl nicht mal. Oder ist er mein Dad oder so was? Seine drallen Finger drücken meine.
»Spürst du das? Kannst du zurückdrücken?«
Ich drücke zurück.
»Hervorragend.«
Er arbeitet sich an meinem Körper entlang. Arme, Hände, Beine und Füße – alles funktioniert.
»Bemerkenswert«, sagt er. Ich kenne ihn nicht, aber ich bin zufrieden, dass er zufrieden ist. Langsam entspanne ich mich. »Wie lautet meine Zahl, Adam?«
Er fragt es ganz beiläufig, wirft es ein so wie all seine andern Fragen, aber es ist nicht dasselbe. Ich bin jetzt überhaupt nicht mehr entspannt. In meinem Kopf gehen die Alarmglocken los. Dann höre ich eine zweite Stimme. Aber sie kommt nicht von jemandem im Raum. Die Stimme ist in meinem Kopf.
Du darfst es niemandem sagen. Niemandem. Nie.
»Keine Ahnung«, sage ich.
Die Tweedjacke beugt sich über mich. »Du weißt es nicht? Bist du dir sicher? Wie lautet meine Zahl, Adam?«
»Das reicht. Lass gut sein, Newsome. Bringen wir ihn nach unten. Er soll erst mal schlafen.« Es ist eine andere Stimme, die das sagt, eine tiefe, energische. Ich bewege die Augen. Ein Mann steht auf der gegenüberliegenden Seite von mir. Er trägt die Haare kurz und hat eine Narbe über dem linken Auge. Seine Zahl flimmert, als ich versuche, mich auf sie zu konzentrieren. Ich hab ihn schon mal gesehen. Meine Gedanken rasen, wollen sich erinnern, ihn einordnen, aber es gelingt nicht.
Die Tweedjacke richtet sich auf.
»Natürlich«, sagt er. »Wir versuchen es morgen weiter.«
Die Gruppe geht auseinander.
Ich schließe wieder die Augen, doch ich bin nicht müde. Ich gehe noch mal und noch mal durch, was ich gerade gesehen habe, alles, was ich weiß. Die Gesichter, die Zahlen … und diese Stimme.
Du darfst es niemandem sagen.
Sie hat mich auch Adam genannt, die Frau in meinem Kopf. Dann muss es wohl stimmen.
Ich bin Adam.
Adam wer?
SARAH
Der Fahrstuhl hält mit einem dumpfen Rucken. Wir sind unten. Der Wachmann dreht den Eisengriff auf ÖFFNEN und zieht danach die Tür zurück, hinter der ein weiterer Flur sichtbar wird. Der Gang ist nur schwach erleuchtet, aus Beton und so lang, dass ich kein Ende sehen kann. An den Wänden laufen gurgelnde Rohrleitungen entlang; in regelmäßigem Abstand gehen Stahltüren mit geschlossenem Fenstergitter in Augenhöhe, Schlüsselloch und einer Zahl ab. Alles ist in einem Kriegsschiffgrau gestrichen. Es wirkt wie ein Gefängnis.
Der Wachmann nimmt meinen Arm. Ich versuche ihn abzuschütteln, doch er hält mich mit festem Griff. Bin ich eine Gefangene? Ich sehe ihn zum ersten Mal richtig an.
Er ist jung, nicht viel älter als ich. Man sieht den ersten Ansatz zu einem Oberlippenbart und sein Militär-Barett scheint nicht im vorgeschriebenen Winkel zu sitzen. Er schaut mich nervös an.
»Ich soll dich zu deiner Tochter bringen«, sagt er. »Wir versuchen sie … einzugewöhnen.«
Mia. Sie ist hier. Erleichterung durchströmt meinen Körper. Und auf einmal kümmern mich weder Saul noch die Soldaten noch dieser unheimliche Ort. Ich will nur zu Mia.
Der junge Soldat geht voraus, immer tiefer in den Tunnel
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