Den Tod vor Augen - Numbers 2
der Grund, aber es war nicht so, wie Sie glauben.«
»Wie war es dann? Erzähl’s mir.«
Doch ich kann’s nicht. Nicht in diesem kahlen Befragungszimmer. Vor dieser Fremden. Ich kann ihr nicht von meinem Dad erzählen, was Er mir angetan hat. Ich weiß, es ist ein Verbrechen, und hier ist der Ort, wo man Verbrechen meldet. Hier sind die Leute, bei denen man so was tut, aber ich kann’s nicht. Es ist zu persönlich.
»Sag’s ihr, Sarah.« Val sitzt mit im Raum. Sie beugt sich auf ihrem Stuhl vor.
Es hat keinen Zweck. Ich mache dicht. Die Sozialarbeiterin stellt weiter Fragen, doch ich schweige, und die ganze Zeit denke ich, dass Mum und Dad irgendwo da draußen in einem schwarzen Mercedes unterwegs sind und immer näher kommen. Das ist es, was den Druck immer weiter erhöht. Das ist es, was mich schließlich zum Sprechen bringt.
»Ich weiß, ich hab einiges falsch gemacht«, sage ich. »Ich weiß, ich hätte den Polizisten nicht verletzen dürfen. Ich gebe es zu. Ich habe es getan und es tut mir leid. Ich werde mich bei ihm entschuldigen, wenn Sie wollen. Ich schreibe ihm einen Brief. Alles. Aber sie hatten mir gerade mein Baby weggenommen. Ich war wütend.«
Sie hören zu.
»Ich muss mein Baby sehen. Ich muss bei ihr sein. Wenn sie bei einer Pflegemutter ist, vielleicht kann ich dann auch da hin. Von mir aus können Sie mich dort rund um die Uhr überwachen. Schauen Sie ruhig zu, wie ich mit ihr umgehe. Lassen Sie mich beweisen, dass ich eine gute Mutter bin. Das war ich bisher immer. Das glauben Sie mir nicht, aber so war es.«
Ich höre das Flehen in meiner Stimme. Ich hasse mich dafür, dass ich so zu Kreuze krieche, aber ich würde alles dafür tun, Mia zurückzubekommen. Alles.
»Louise ist jetzt in Sicherheit. Und ihre Sicherheit hat oberste Priorität«, sagt die Sozialarbeiterin. »Du hast ein ziemlich … instabiles … Leben geführt. Und sie braucht Stabilität, Routine. Wenn wir sie bei der Familie lassen können, während wir dir … helfen … ist das sicher die beste Lösung.«
»Bei der Familie …?«
»Bei deiner Mutter und deinem Vater. Louises Großeltern. Es ist eine Option, die wir mit ihnen besprechen werden, sobald sie hier sind.«
»Bei meinen Eltern? Sind Sie verrückt?«
»Das ist oft die beste Lösung. Wenn Mandanten, Eltern wie du, Tritt fassen müssen, springen häufig die Großeltern ein, um zu helfen.«
»Verdammte Scheiße, das meinen Sie doch nicht im Ernst.«
»Du hast vielleicht eine schwierige Beziehung zu ihnen gehabt, aber sie …«
Ich springe auf und der Stuhl knallt nach hinten auf den Boden.
»Habe ich da ein Wörtchen mitzureden? Kann ich irgendetwas dagegen tun?«
»Setz dich, Sarah. Bitte.« Ich bleibe stehen. »Wir werden natürlich auch deine Meinung anhören, aber letztlich wird die Entscheidung vom Ausschuss in Absprache mit dem Familienrichter getroffen. Wir müssen dabei vor allem an Louise denken.«
»Ich kann hier nicht bleiben. Ich kann sie nicht sehen. Wenn Sie mich einsperren wollen, dann tun Sie das. Ich bin lieber in einer Zelle als hier.«
»Wir wollen dich nicht einsperren. Wegen der Körperverletzung an Officer McDonnell bleibst du zunächst auf Kaution frei, deshalb suchen wir etwas Passendes für dich, wo du unterkommen kannst, nachdem du ja offensichtlich nicht nach Hause willst.«
»Ich geh auf keinen Fall. Lieber bring ich mich um.« Auf einmal sieht sie mich an und ich merke zu spät, dass man so was vor einer Sozialarbeiterin nie sagen darf. »Das hab ich nicht so gemeint«, platzt es noch schnell aus mir raus. »Ich werde mich nicht umbringen.«
»Sie kann mit zu uns kommen. Ich werde auf sie aufpassen.«
»Mrs Dawson, ich bin nicht sicher …«
»Sie wird nirgendwo hingehen, nicht weglaufen, nicht ohne das Baby. Sie braucht ein sauberes, warmes Zuhause, gute häusliche Versorgung. Ich bin junge Menschen gewohnt. Ich habe genügend davon großgezogen.«
»Das ist es nicht. Es ist der Vater …«
»Der Vater?«
»Ihr Urenkel. Adam Dawson. Louises Dad.«
Val ist kurz davor, laut loszuprusten. Ihr Gesicht fliegt hoch und sie sagt: »Adam? Nein, er ist niemals …«, doch dann sieht sie mich an. Meine Augen sind weit aufgerissen und ich nicke ihr zu.
Sie hebt die Augenbrauen und sagt: »Klar … ja, Adam und Sarah.«
»Er hat Probleme gehabt.« Die Frau schaut auf ihren Bildschirm und scrollt die Seite nach unten. »Ganz schön viele Probleme.«
»Ja, er hat Probleme gehabt. Welcher Sechzehnjährige hat das
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