Denken Mit Dem Bauch
unkonkrete Furcht vor dem Fliegen - und das war's. Bergeweise wurden die Aktien an den Börsen verramscht - ohne jeden rationalkognitiven (logischen) Hintergrund.
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Der kluge Bauch denkt auch, aber anders als wir denken Wie das Kopfgehirn arbeitet, kann man sich vorstellen - wie eine Computerfestplatte etwa. Wer wir sind und was wir kognitiv entscheiden, beruht im Wesentlichen auf der Masse der abgespeicherten Erfahrungswerte. Diese Lebenserfahrungen und Situationserfahrungen werden an den unterschiedlichsten Ankerplätzen im Kopf abgespeichert, sozusagen auf die »Platte«
geschrieben. Unser emotionales Zentrum im Gehirn, der so genannte Mandelkernbereich, kann gezielt oder auch ungezielt (beim Träumen zum Beispiel) auf diese unendliche Masse von abgespeicherten Daten, Erlebnissen, Erinnerungen und erlebten Gefühlen zurückgreifen und damit unser jetziges und
zukünftiges Entscheidungsverhalten und Erlebnisverhalten beeinflussen.
Aber wie »denkt« der Bauch? Hat das enterische
Nervensystem, dieser merkwürdige Nylonstrumpf, auch so eine Art von »Festplatte«? Werden dort etwa auch Erlebnisse, Emotionen und Situationen gespeichert? Werden dort ebenfalls vergleichbare Ankerplätze für Gedanken angelegt, so wie im Gehirn etwa? Ja und Nein, also Jein.
Das enterische System arbeitet anders. Es braucht keine konkreten Informationen, keine abgelegten Gedanken an
Vergangenes, keine Träume und keine direkten Emotionen. Das
»Bauchgehirn« hat seine so genannten »somatischen Marker«, wie es der amerikanische Psychologe Antonio Damasio nennt.
Zwar speichert das enterische Nervensystem eine unendliche Sammlung von Erfahrunge n (da verhält es sich prinzipiell so wie das Gehirn), aber keine einzige dieser gespeicherten Erfahrungen ist für den Bauch konkret abrufbar. Die
psychosomatischen Markierungspunkte sind unkonkret.
Sie funktionieren überaus einfach und folgen einem simplen Schaltsystem. Zur Verdeutlichung nehmen wir erneut das
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Beispiel von Sabine (siehe Seite 48). Sie erinnern sich… das Jobangebot klang wie ein Sechser im Lotto: Ein Traumgehalt, großartige Aufstiegschancen, spannende Aufgaben, viel
Verantwortung, sogar eine n Dienstwagen wollte der neue Arbeitgeber bereitstellen… und so weiter… Dann lehnte Sabine
»aus dem Bauch heraus« den neuen Job dennoch ab. Grund für die Ablehnung waren ihre »somatischen Marker«.
Was war geschehen?
Das Gehirn überprüfte alle Informationen des Jobangebotes und signalisierte: »Faktisch okay, Job annehmen…« Das
enterische Nervensystem erhielt ebenfalls diese Botschaft und verglich das somatische (unterbewusste) Gefühl der eigenen körperlichen Befindlichkeit mit ähnlichen Befindlichkeiten aus der Vergangenheit. Das Bauchsystem verglich das »Hier und Jetzt« der Entscheidungsfindung mit dem, was es in der Vergangenheit schon einmal erlebt hatte. Diese somatischen Markierpunkte geben uns sozusagen einen »Körpergefühl-Vorgeschmack« darauf, wie wir uns nach einer zu treffenden Entscheidung fühlen werden.
Das war der Grund, warum Sabine den neuen Job dann doch noch kurzfristig abgelehnt hatte. Ihr Bauch hatte der jungen Dame einen Vorgeschmack auf das kommende Befinden
geliefert, resultierend aus seinen Erfahrungen der
Vergangenheit. Dabei muss Sabine nicht alle Erfahrungen bereits einmal gemacht haben. Es würde schon reichen, wenn zum Beispiel die Stimme des Chefs oder die Atmosphäre beim Bewerbungsgespräch für den Bauch irgendwie »bekannt« wären und der Nylonstrumpf dieses »bekannt«-Gefühl als unangenehm einstufen würde. Es wäre auch ausreichend, wenn ein oder zwei kleine Erlebnisse in Sabines Leben den Erlebnissen bei dem Bewerbungsgespräch ähneln würden - und diese vom
»enterischen Nylonstrumpf« mit negativen Emotionen, mit einer Art Bedrohlichkeit, besetzt gewesen wären.
Manchmal reicht der Duft eines Raumes bereits aus, um eine
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komplette Ablehnungshaltung des Nylonstrumpfs zu erzielen. Er muss diese Duftrichtung nur ein einziges Mal im Leben als unangenehm erlebt haben - das genügt.
Das enterische System hat ein Gedächtnis wie ein Elefant.
Wir wissen nur noch nicht genau, wie der Speichermechanismus dieses Gedächtnisses funktioniert. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Nylonstrumpf ein eigenes Speichersystem besitzt und eigene Short-Cuts abspeichert, die irgendwie mit dem emotionalen Zentrum im Mandelkerngehirn
kommunizieren können.
Das alles hat nichts mit Psychologie zu tun, nichts
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