Denken Mit Dem Bauch
vor der Pleite. Erhebliche Außenstände scheinen uneinbringlich zu sein. Die Kunden zahlen nicht, der Sollsaldo auf dem Betriebskonto bei der örtlichen Bank wächst und wächst. Das führt dazu, dass fällige Rechnungen nicht mehr bezahlt werden können - was wiederum bewirkt, dass dem Betrieb allmählich seine Halbfertigwaren ausgehen, weil einige Lieferanten wegen der unbezahlten Rechnungen nicht mehr liefern. Die weitere Produktion des Betriebes ist damit gefährdet.
Die Bank ist inzwischen auch sehr nervös und hat gestern die Konten gesperrt. Der geschäftsführende Gesellschafter der Firma, Gerd W., fährt in die Stadt, um mit dem stellvertretenden Vorstand der Bank einen Krisenplan zu besprechen. Der Banker bleibt hart: »Personalabbau, basta. Da müssen fünf Leute gehen von den 18 Mitarbeitern in Ihrem Betrieb. Mit dem Abbau sparen wir monatlich fast 25000 Euro inklusive der
Personalnebenkosten. Dann kommen wir zunächst einmal zwei Monate weiter. Bis dahin könnten die Außenstände vielleicht zu 50% realisiert werden. Wenn Sie das Personal abbauen, öffnen wir die Konten wieder und erledigen die ausgehenden
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Rechnungen, sodass Sie weiter Verpackungen produzieren können. Die Auftragslage scheint in Ordnung zu sein, wenn Ihre Zahlen im Auftragsbuch stimmen.«
Der Geschäftsführer hat keine Wahl. Er muss fünf seiner Mitarbeiter nach Hause schicken. Aber wen? Er hat von allen Mitarbeitern den Eindruck, dass er nicht auf einen einzigen verzichten kann. Nun wird er zu diesem Schritt gezwungen, denn der Betrieb würde in der Tat dann viel Geld sparen. Er muss mit den betroffenen Leuten reden. Heute Abend wird er dann entscheiden, wer von den 18 Mitarbeitern gehen muss.
Vielleicht hat er in einem Jahr wieder die Möglichkeit, die Leute erneut einzustellen. Keiner der fünf betroffenen Mitarbeiter, die gehen werden, hat sein Schicksal selbst verschuldet. Alle arbeiten sehr zufrieden stellend. Das macht die Entscheidung so schwierig.
Doch Gerd W. entscheidet schnell. Am nächsten Tag bereits hat er fünf Leute aus seinem Team entlassen. Sie konnten gleich gehen. Er rechnet nicht damit, dass ihm nun fünf Klagen vor dem Arbeitsgericht entgegenkommen. Die Mitarbeiter haben zugesagt, dass sie keinen »Stunk« machen werden. Denn bereits bei dem ersten verlorenen Prozess wäre die Firma gänzlich pleite und Gerd W. müsste die restlichen 13 Leute auch noch entlassen - und damit wäre nun wirklich niemandem geholfen.
Betrachten wir nun aber einmal genau, wer entlassen worden ist: Nr. l… aus dem Entlassungs-Team…
Der Arbeitnehmer Heinz K., 44 Jahre, Facharbeiter, stürzt nach der Entlassung in ein tiefes emotionales Loch. Ohne Arbeit hat er das Gefühl, nichts zu taugen. Arbeit, das bedeutete für ihn auch immer ein Stück Anerkennung. Und nun ist diese
Anerkennung einfach weg. Er schämt sich wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes. Kaum traut er sich, seinen Kindern davon zu erzählen. Nun gehört also auch er zu dem Heer der Verlierer, zu
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denen, die nichts mehr taugen, die zum alten Eisen gehören.
Über Jahre hinweg war sein Angstbild, mit Mitte 40 zum alten Eisen geworfen zu werden. Nun ist es Realität geworden. Seine Frau versucht ihn zu trösten. Heinz ist traurig und weint. Auch das ist ihm sehr peinlich, sogar gegenüber seiner eigenen Frau, mit der er nun schon seit 22 Jahren verheiratet ist. »Was sollen wir denn nun machen? Was soll nun werden«, fragt er sie mit erstickter Stimme. Aus seinen Worten sprechen Ratlosigkeit, Verzweiflung, Verbittertsein.
Nr. 2… aus dem Entlassungs-Team…
Der Kollege Jürgen D., 36 Jahre, Ingenieur, fühlt sich sehr gut.
Er reagiert auf diesen Schicksalsschlag beinahe richtig positiv.
Er fand das tägliche Arbeiten schon immer eher lästig. Seine vielfältigen Interessen, Sport, Vereine und Familie lassen ihm kaum Zeit, über seine neu gewonnene Freiheit nachzudenken.
Nr. 3… aus dem Entlassungs-Team…
Rita M., 39 Jahre, Teamsekretärin, weiß gar nicht, wie ihr geschieht. Sie war immer pünktlich, ordentlich, arbeitsam, zuverlässig und belastbar - und doch ist sie jetzt ohne Arbeit.
Für sie bricht eine Welt zusammen. Hobbys hatte sie kaum, die Arbeit war ihr Leben, seit sie vor fünf Jahren geschieden worden war. Am nächsten Morgen bereits ist sie beim Arbeitsamt und reiht sich in die Gruppe der anderen ein, die zum Berater möchten. Mittags um 12 Uhr hat sie bereits drei Terminkarten in der Hand. Sie schreibt sofort blitzsaubere
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