Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
äußerst notwendig, soll das Buch seinen Zweck, ein Spiegel der Zustände und der Menschen der theresianisch-josefinisch-franziszeischen Zeit zu sein, voll und ganz erfüllen.
Als Karo'ine Pichler an die Abfassung ihrer „Denk-würdigkeiten" ging, da hatte sie den Höhepunkt ihres Lebens längst überschritten, um sie war es still und ein-sam geworden, die Gesellschaften in fremden Häusern mied sie (seit 1830; H, S. 308) und nur selten noch gab es in ihrem Heim größere Empfänge. Von den alten Freunden waren viele dorthin gegangen, von wannen es keine Wiederkehr gibt, und da sie selbst für die Zu-kunft nichts mehr zu erwarten hatte, so wendete sie den Blick der glänzenden Vergangenheit zu. Die Dreißiger-jahre hatten ihr nicht nur eine gewisse gesellschaftliche Vernachlässigung gebracht, sondern auch ihr dichteri-scher Ruhm war im Abnehmen begriffen, denn die jün-gere Generation hatte andere Ideale und Ziele. Ihr letzter Roman „Elisabeth von Guttenstein", 1834 ^^^' standen und 1835 erschienen, fand zwar den Beifall der Kritik, wurde aber vom Publikum kühl aufgenommen (II, S. 312). Karoline Pichler, deren Geisteskraft und Phantasie mit ihrer Schaffenslust nicht mehr Schritt halten konnten (II, S. 606), fühlte daraus nur zu deut-lich, daß ihre Zeit vorüber war und als praktische Frau wurde es ihr nicht allzu schwer, den TJbergang in ein anderes, ihren Fähigkeiten entsprechenderes Gebiet zu finden. Wirkte sie früher durch ihre dichterischen Er-zeugnisse belehrend und in sittlicher Hinsicht erziehe-risch auf ihre Leser ein, so tat sie jetzt das gleiche durch zahlreiche kleinere Aufsätze vermischten Inhalts, in de-
nen sie ihre abgeklärte Lebensweisheit und ihre Erfah-rungen verwertete. Den gleichen Zweck hatte sie auch bei der Niederschrift ihrer „Denkwürdigkeiten", die sie ursprünglich nicht für den Druck bestimmte (I, S. 4), im Auge. Sie wollte hier die Summe ihrer Lebenserfah-rungen niederlegen, damit sie ihren Nachkommen nütz-lich würden, sie wollte sich selbst über ihren Lebens-gang Rechenschaft geben und aufzeigen, welchen Ein-wirkungen sie während ihres langen Lebens unterworfen war und welche Kräfte wirksam waren, um das Endpro-dukt „Karoline Pichler" zu ergeben (I, S. /\.i.).
Vielleicht hatte Pichler bereits 1832, als sie ihre„Hen-riette von England" nach den französischen Memoiren-werken der Madame Fran^oise Bertaud, dame de Motteville und der Madame Marie Pioche de La-vergne, Gräfin de la Fayette in idealisierender Weise bearbeitet hatte^), den Plan gefaßt, die Denkwürdig-keiten ihres eigenen Lebens zu verfassen, vielleicht war erst der Mißerfolg der „Elisabeth von Guttenstein" der Anstoß dazu, Sicheres läßt sich darüber aber nicht sagen. Gewiß ist jedoch, daß sie 1835 bereits mitten;in der Arbeit war, im Dezember 1836 die Hälfte des zweiten Buches hinter sich (vgl. I, S. 332) und 1837 diesen Teil vollendet hatte, wie einige Anspielungen in den ersten beiden Büchern der „Denkwürdigkeiten" deutlich er-kennen lassen2). Im September 1837 erlitt aber Karo-line Pichler den schwersten Verlust ihres Lebens, ihr Mann verließ sie auf immer. Die seelische Verstim- -
^) Henriette von England, Gemahlinn des Herzogs von Orleans. Wien, 1832. Gedruckt und im Verlage bey Anton Pichler. Mit einem Kupfer (Dav. Weiß sc.) = S. W. ^ XLVI. Über die Quellen vgl. Vorrede S. VI. — Eine Anzeige: Blätter fü^ literarische^Unter-haltung. 1832, II, S. 831.
^) Denkwürdigkeiten I, S. 231, 319, 332, 369, 377, 418.
mung, die dieses Ereignis im Gefolge hatte, die Schere-reien, v/elche die Erledigung der Verlassenschaftsab-handlung, die im August 1838 beendigt wurde (II, S. 601), mit sich brachte, ließen vorläufig eine Fortset-zung der Arbeit an den „Denkwürdigkeiten" nicht zu. Erst zu Ende des Jahres 1838 wird Pichler an das dritte Buch geschritten sein, das 1839 oder 1840 fertig vorlag. Das Jahr 1841 sah sie an der Arbeit des vierten Buches und im Herbst dieses Jahres war sie bereits bei den Er-eignissen des Jahres 1832 angelangt (vgl. II, S. 287 mit Anra. 460). Der Abschluß des ganzen Werkes dürfte noch 1841 erfolgt sein. Daß Karoline Pichler unterdes-sen das Niedergeschriebene fleißig durchsah, stilistische und andere Verbesserungen, sowie Ergänzungen an-brachte 1), das zeigt deutlich die Originalhandschrift der „Denkwürdigkeiten" (vgl. unten S. LH f. bes. Anm. i) Diese Arbeit, die nach den Tod ihres Mannes fiel, mag F. Wolf im Auge haben (II, S. 389), der die
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