Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
einem stra hlend blauen Himmel Sie hatte mit Frau Gellner gesprochen, die nach der Wanderung hinauf Richtung Ellmaualm auch dorthin kommen würde. Lene hatte sich zuerst einmal um Sven und seinen Zustand kümmern wollen. Vielleicht konnte sie doch schon mit ihm sprechen. Das hatte Vorrang und sie wollte die Schüler nicht so lange im Leerlauf warten lassen. »Wie war die Nacht mit den Kids?«, hatte sie gefragt, und Frau Gellner hatte von einigen Tränenausbrüchen erzählt.« Die Mädchen hatten sich gegenseitig angesteckt und steigerten sich gemeinsam in die Sorge und Angst um Sven hinein. So hatte sie viel trösten müssen und war erst spät zum Schlafen gekommen.
»Das ist eben zusätzlich der dritte Tag der Klassenfahrt. Gerade da sind alle hypersensibel und neigen zum Dramatisieren. Und wenn dann noch so etwas wirklich Dramat isches passiert ist, noch dazu einem von ihnen, musste man mit so einer Reaktion rechnen. Ich war nur froh, dass Sie die Wahrheit über Svens Zustand so bedeckt gehalten haben und nichts von seiner Großmutter erzählt haben.«
Sven hatte eine ruhige Nacht gehabt, sein Zustand hatte sich weiter stabilisiert und der Arzt meinte, er könne es ri skieren, ihn später aus dem Tiefschlaf zu holen. Aber für ein Gespräch war es zu früh. Das CT hatte gezeigt, dass die Schwellung im Gehirn nicht weitergegangen war, sodass er einem Transport zustimmen könnte. Gegen vierzehn oder fünfzehn Uhr könne Sven abgeholt werden. Lene hatte daraufhin Kalle gebeten, den Rücktransport nach Erlangen zu organisieren. Da hatte man mehr Möglichkeiten, falls doch noch Komplikationen auftreten würden.
Wieder erörterte Lene mit Mike diesen seltsamen Skiunfall. Wäre da nicht der Mord an der Großmutter wäre es eben ein Unfall. Obwohl die Jugendl ichen das absichtliche Verhalten des Snowboarders betonten. Nur – warum hatte der Sven umgefahren, noch dazu so vehement? Wollte er ihn verletzen? Und wenn man an den Mord in Nürnberg dachte – wollte ihn da jemand sogar töten? Und galt dieser Angriff überhaupt Sven als Person oder nur unbestimmt irgendeinem Jugendlichen, der da gerade stand? Das wäre dann einer der unbegreiflichen Zufälle im Leben eines Menschen. Da sie mit dieser Option am hilflosesten waren, mussten sie sich erst einmal mit der anderen beschäftigen. Denn wenn die Attacke Sven als bestimmter Person galt, war es jemand, der ihn kannte! Ein Mitschüler war dann die wahrscheinlichste Möglichkeit. Also mussten sie die anderen jetzt noch einmal befragen. Wer war mit wem zusammen gewesen zur Zeit des Unglücks?
»Ist schon wirklich praktisch, dass eure Schüler so gut Englisch sprechen«, hatte Mike am Abend vorher oben in der Lindlingalm zu Lene gesagt. Hannes, der Enkel von Theres, war gerade mit dem köstlichen, herzhaften Schweinebr aten mit Semmelknödeln gekommen – Lene mochte langsam nicht mehr an ihre Figur denken. Sie würde erst auf die Waage gehen, wenn Mike wieder in den USA war – und musste aufpassen, dass er nicht beim Servieren mit Mike zusammenstieß. Der stand nämlich halb gebeugt am Tisch und fischte in seinen Jeanstaschen, bis er einen Zettel gefunden hatte, den er Lene mit triumphierendem Grinsen reichte. Darauf standen alle Namen der Schülerinnen und Schüler, übersichtlich in Gruppen zusammengefasst. Er hatte sich den Zettel schreiben lassen, als Lene die Befragung durchgeführt hatte.
»Wir müssen erst einmal nachhaken, ob die Gruppen so stimmen. Und d arauf achten, wer gerade allein war zur Zeit des Unfalls. Und wer schwarz angezogen war. Das wird wohl das Schwierigste, denn spätestens bei der Frage riechen sie Lunte«, schlug er jetzt vor.
Lene holte den Zettel aus der Tasche ihrer warmen Skijacke. »Wer war überhaupt allein? «
»Das ist ebenfalls die Frage. Wir sollten sie auf jeden Fall wieder in die Gruppe, die oberhalb und die Gruppe, die unterhalb war, einteilen. Denn ich glaube, die Liste zeigt nur die Gruppierungen, die sie den Tag über oder zumindest während der Abfahrten haben sollten . Da kann gut einer zurückgeblieben und später losgefahren sein.
Plötzlich fasste Lene ihn am Arm. »Schch, leise«, bat sie ihn und zeigte nach oben. Eine Gemse stand fast am Kamm des steilen Hangs und schaute hinunter zu ihnen. Nur e inen Augenblick verharrten alle drei, dann sprang sie davon. Aber der Vorfall hatte genügt, sie zurück in diese Märchenlandschaft zu holen, die Sonne wahrzunehmen und die Spitzen des S teinernen Meers zu sehen, schroff und
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