Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
München hierhergefahren wäre. Dann hätte er sich nicht mit ihr treffen können und sie hätte vielleicht etwas anderes gemacht, wäre nicht zu Hause gewesen. Ich weiß auch nicht – sind das nicht die Fragen, die man sich immer stellt, wenn etwas Schlimmes im Leben passiert? Wenn ich mich nicht noch einmal umgezogen hätte und dadurch vier Minuten früher aus dem Haus getreten wäre, dann hätte mich das Auto … So in der Art. Man weiß mit dem Verstand, dass solche Fragen sinnlos sind, es ist doch schon passiert. Aber trotzdem stellt man sie sich.«
Sie verschränkte die Hände ineinander. Dann kam, sehr viel leiser: »Ich hätte sie auch gern kennengelernt. Sie muss meinem Mann ei nmal viel bedeutet haben. Obwohl – sie war damals ja wohl verheiratet.«
Ein spürbarer Vorwurf lag in ihrer Stimme, und sie sah kurz ihren Mann an.
»Und Sven, wie stehen Sie zu ihm? «
Sie schluckte, Bob fuhr auf. »Das ist doch wohl nicht so einfach zu akze ptieren, dass da plötzlich ein Enkel sein soll. Wenn es überhaupt stimmt. Aber was soll das, er hat sein Leben hier, wir haben unseres drüben in Kanada.«
Aha, er hatte also doch Angst davor seine Stellung als nächster Verwandter zu verlieren. Konkurrenz, die er auf seinen Platz verwies. Sven hier, Bob dort. Bei den Fleischtöpfen. Lene konnte ihn zwar irgendwie verstehen, trot zdem war er ihr unsympathisch.
»Vielleicht hat er ein Leben hier, aber jetzt hat er auch einen Gro ßvater in Kanada«, antwortete sie deshalb. »Und hier eine ermordete Großmutter, von deren Tod er noch nichts weiß. Soweit zu seinem Leben hier. Tut er Ihnen nicht leid, Mr Atkinson? Vielleicht braucht er jetzt seinen Großvater und vielleicht auch seine neue Großmutter? «
Sie sah dabei Jessica an und wartete einen kurzen Augenblick, b evor sie vorsichtig tastend fragte: »Sehen Sie das auch, Mrs Shiller?«
Die hatte vorher irritiert zu Robert gesehen. »Bob, was soll das? Jetzt geht es erst einmal darum es Sven zu sagen. Dass er bei uns wil lkommen ist, wenn er das will. Das ist doch selbstverständlich, findest du nicht? Er ist schließlich der Sohn von Matt‘s Sohn. Also müssen wir es den beiden überlassen, was daraus wird. Du«, wandte sie sich an ihren Mann, »weißt auf jeden Fall, dass ich akzeptiere, was auch immer ihr entscheidet. Das sind wir dieser toten Frau schuldig.«
Das hatte sie sehr gut gesagt, fand Lene und spürte Sympathie für Jessica Shiller, die in den letzten Tagen doch hatte einiges verdauen müssen.
Mike richtete seine Aufmerksamkeit jetzt ebenfalls auf Bob. »Sie hoffen wohl immer noch, dass Sven nicht wirklich der Enkel Ihres Onkels ist. Haben Sie Angst, er könne zur Konkurrenz in der Firma werden, falls er überhaupt daran Interesse hätte? «
Jetzt war Bob rot angelaufen. »Ja, ähem, zumindest sehe ich keinen Grund ihm ein gemachtes Nest zu präsentieren. Bitte, bitte, hüpf hinein zu betteln. Nein, dafür sehe ich noch lange keinen Grund. Noch ist er ein fremder kleiner Junge, der keine Ahnung hat. «
»Das warst du auch einmal, ist noch gar nicht so lange her«, eri nnerte ihn Shiller ironisch und klinkte sich damit in die Diskussion ein. Er war vorher sichtlich bemüht gewesen sich im Hintergrund zu halten. »Vergiss nicht, dass das eine Entscheidung von Jessica und mir ist, was aus Sven wird. Und natürlich von Sven«, setzte er mit Blick auf Lene hinzu.
Mike runzelte tadelnd die Stirn, als er jetzt wieder Bob ansah. »S oviel ich weiß, sind Sie doch nicht in einer leitenden Position in Mr und Mrs Shillers Firma. Es ist doch Ihre gemeinsame Firma? «, fragte er kurz Matthew Shiller, der bestätigend nickte. Mike fixierte wieder Bob Atkinson.
»Also dürfte es Ihnen egal sein. Wie viele Menschen arbeiten bei Ihnen, Mr Shiller? «
Geschickt hatte er Bob damit provoziert, ihn zu einem kleineren Angestellten gemacht, als der sich fühlte und zugleich ihn übergangen bei der Frage nach der Anzahl der Beschäftigten. Bob schäumte erwartungsgemäß und bemühte sich um Zurückhaltung. Man sah ihm seinen inneren Kampf an, die roten Wangen, die braunen Haare zerzaust – er war sich bei dem letzten Ausbruch zornig mit beiden Händen hineingefahren – und den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
Dann kam es trotzig: »Ihnen, der doch Amerikaner ist und eigen tlich mit den Ermittlungen nichts zu tun hat, brauche ich solche Fragen nicht zu beantworten.« Er presste die Lippen zusammen.
Lene sah ihn nachdenklich an. »Wissen Sie etwas
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