Denn das Glueck ist eine Reise
Großvaters gespielt. Mit dem einundachtzigjährigen Schauspieler verbrachte Adèle mehr Zeit als mit irgendeinem anderen der Crew. Im Gegensatz zu dem Geplapper dieser Tratschtanten waren die Gespräche mit ihm eine große Bereicherung. Er würde bald noch einmal zurückkehren, weil noch ein oder zwei Rückblenden gedreht werden mussten. Würde er sich dann noch an sie erinnern? Freundschaften waren hier nicht von langer Dauer, und als er gegangen war, hatte sein Gesichtsausdruck irgendwie merkwürdig gewirkt.
Das Klingeln des Handys riss Adèle aus ihren trüben Gedanken. Sie hatte eine SMS erhalten. Als sie sie las, musste sie lächeln:
Opa, 27.09.2008, 22.35 Uhr
Hotl du Centr, Brest. AIO.
(Hôtel du Centre, Brest. Alles in Ordnung.)
Und fast sofort danach kam noch eine:
Opa, 27.09.2008, 22.36 Uhr
Hotl du Centr, Brest, FinistR. AIO.
(Hôtel du Centre, Brest, Finistère. Alles in Ordnung.)
Das war ein guter Vorwand, um aus dem engen Büro zu verschwinden. Adèle lief die Treppe hinunter und auf die Straße. Sie warf den Teller mit dem Essen, das sie kaum angerührt hatte, in den erstbesten Mülleimer und schrieb schnell zurück:
Adèle, 27.09.2008, 22.48 Uhr
OK
Sie wartete einen Augenblick an der frischen Abendluft, erhielt aber keine Antwort. Der Unfall ihres Großvaters hatte ihr zugesetzt, genau wie ihre langsam wie Seifenblasen zerplatzenden Illusionen von der Filmbranche. Sie stellte plötzlich fest, dass dieser SMS-Austausch ihre Stimmung aufgehellt hatte. Woher kannte ihr Großvater, der noch nie in seinem Leben eine Nachricht mit dem Handy verschickt hatte, die SMS-Sprache? Es war schon komisch, dass er, der nie aus seinem Gemüsegarten herausgekommen war, ihr jetzt solche SMS schickte. Wenn man genau überlegte, war es schon mutig, was er da machte. Verrückt, total verrückt, aber mutig. »Weil wir Lust dazu haben.« Adèle lächelte wieder. In dem Alter ... Hut ab.
Er musste diese Abenteuerreise monatelang vorbereitet und sich die Strecke tausendmal vor Augen geführt haben. Vielleicht hatte er Angst gehabt und sich gesagt, es sei ein zu waghalsiger Plan. Adèle hoffte, dass ihn die Reise nicht enttäuschte. Mit enttäuschten Illusionen kannte sie sich aus.
Wirklich eine gute Sache!, sagte Georges sich. Er hatte eine SMS verschickt und eine SMS erhalten. Also würde seine Enkeltochter ihn vorerst in Ruhe lassen. Doch diese sonderbare Schreibweise, die man offenbar beim SMS-Tippen verwenden musste, verwirrte ihn. Adèle war auch gar nicht darauf eingegangen. Jetzt hatte er ein Problem: Wahrscheinlich würde er nicht auf jeder Etappe jemanden finden, der die SMS für ihn schreiben konnte, so wie heute Abend.
Und so hatte es sich zugetragen: Charles war ihm überhaupt keine Hilfe gewesen, und so musste Georges an der Rezeption, die um diese Uhrzeit fast menschenleer war, um Unterstützung bitten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Empfangsdame zu stören, wahrscheinlich eine Praktikantin, die höchstens zwanzig Jahre alt war. Sie unterhielt sich mit einer anderen jungen Frau, zweifellos eine Freundin, die gekommen war, um ihr Gesellschaft zu leisten. Georges hatte ihnen das Problem erklärt. Die beiden jungen Frauen fanden seine Bitte anscheinend ziemlich lustig, und sie fragten ihn bereitwillig, was für eine Nachricht sie schreiben sollten.
»Hôtel du Centre, Komma, Brest, Punkt. Alles in Ordnung, Punkt.«
Die Frauen halfen ihm auch, Adèles Nummer in seinem Handy zu speichern. Dann zeigten sie ihm, wie man eine Nachricht schrieb und sie verschickte. Drei Mal klicken, und die Nachricht war gesendet – nach London! Anschließend bat er sie, die SMS noch einmal zu verschicken, da er »Finistère« hinter Brest vergessen hatte. Das war die Gelegenheit, noch einmal mit ihnen durchzugehen, was er gerade gelernt hatte. Aber er war ein wenig verstört. Das, was er da auf dem Display sah, ähnelte nur vage »Hôtel du Centre, Komma, Brest, Komma, Finistère, Punkt. Alles in Ordnung, Punkt.« Ein paar Vokale fehlten, am Ende eines Wortes stand ein Großbuchstabe, und von einigen Wörtern fand er nur die Anfangsbuchstaben wieder. Georges schämte sich ein wenig, Adèle so eine SMS zu schicken. Wenn es um Rechtschreibung ging, war er kompromisslos. Als seine Enkeltochter noch klein war, hatte er ihr tausendmal erklärt, dass fehlerfreies Schreiben der Schlüssel zum Erfolg sei. Sie hatte ihn auch mächtig stolz gemacht, denn im Diktat war sie immer Klassenbeste.
Georges fand den Mut,
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