Denn dein ist die Schuld
möglichen Zeugen absprechen.
Er konnte gehen.
Natürlich stand der Ingegnere immer noch unter Verdacht. Aber die Kontrollkommission hatte seine Haftentlassung angeordnet, da sie die Beweise, auf die sich die Haftanordnung des Ermittlungsrichters stützte, als haltlos einstufte.
Ispettore Capo Vincenzo Marino war nach zwei Stunden Schweigeverhör mit Scifo und Della Volpe in sein Büro zurückgefahren. Völlig deprimiert. Er war zwar nicht der brutale Typ, hatte nie besondere Methoden bei den Verdächtigen gutgeheißen, aber die beiden hätte er am liebsten verprügelt, bis sie alles ausspuckten. Wie wirksam war doch das alte System! Sandgefüllte Säckchen, die keine Spuren hinterließen … Keine Anwälte, die auf Staatskosten bestellt wurden, und das Recht auf Zeugnisverweigerung!
Und was Simonella anging, auch der sollte besser hinter Schloss und Riegel sitzen!
Sandra Leoni war nicht seiner Meinung.
»Zunächst mal eins, Vince, du darfst nicht vergessen, dass eine Kleinigkeit genügt und der ganze Fall ist im Arsch. In unserem Land verstößt Folter gegen das Gesetz. Wenn die beiden bei ihren Anwälten mit ein paar blauen Flecken im Gesicht erscheinen …«
»Schon gut, das hab ich doch nicht ernst gemeint. Wir mühen uns Tag und Nacht mit den Ermittlungen ab, aber sogar dann, wenn du sie auf frischer Tat ertappst, dürfen sie dich einfach stumm anglotzen wie wiederkäuende Kühe. Und dann der andere … Simonella. Er ist draußen. Die Kontrollkommission hat beschlossen, dass die Beweise nicht ausreichen.«
»Vince, die Kontrollkommission hat ihn wegen der illegalen Abhöraffäre aus der Untersuchungshaft entlassen. Dann müssen wir jetzt eben Beweise für seine Mitwirkung bei der Entführung seines Sohnes finden. Wir müssen darüber nachdenken, aber dabei immer im Hinterkopf behalten, dass es sich um zwei getrennte Fälle handelt …«
»Ja, aber wenn die beiden Fälle doch zusammenhängen wie die beiden Seiten einer Medaille. Die Anordnung, ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen, betrifft nur den ersten, aber mittlerweile haben wir so viele neue Beweise, die Simonella mit der Entführung seines Sohnes in Verbindung bringen.«
»Ja, aber uns fehlt noch das Bindeglied zwischen der Abhöraffäre und der Entführung, Vince.«
»Genau danach suchen wir doch, Sandra. Ich bin sicher, wenn wir das finden, werden wir alles aufklären. Sieh dir das an.« Er wedelte vor Sandra Leonis Nase mit einem dünnen Packen Papier herum. »Das ist die Abschrift von der Aussage der Ivanova, die ich an Staatsanwalt Salvini weitergeleitet habe. Mit meinen Überlegungen.«
Sandra Leoni überflog das Protokoll nur. Schließlich hatte sie die Aussage aufgenommen. Sie sah, dass einige Zeilen unterstrichen waren, und überflog die Bemerkungen am Rand.
Erstens: Die Simonellas hatten das ukrainische Kindermädchen nicht von der Caritas, wie sie erklärt hatten, das war eine Lüge. Sie hatten es ganz bewusst ausgewählt oder es war ihnen aufgezwungen worden. Unter dieser Voraussetzung erschien alles Übrige in einem fragwürdigen Licht.
Zweitens: Wussten die Simonellas, wer oder was diese Frau wirklich war? Falls ja, mussten sie auch wissen, welchen Risiken sie ihren Sohn aussetzten, wenn er ihr anvertraut wurde. Illegale Schmuggelgeschäfte und ein Ehemann, der wegen Waffen- und Drogenhandels im Gefängnis saß, waren nicht gerade die besten Referenzen!
Drittens: Der Ingegnere und seine Frau, oder vielleicht auch nur einer von beiden, musste zwangsläufig darauf kommen, dass das Kindermädchen in die Entführung verwickelt war, trotzdem hatten sie ihre Vermutungen nicht offen geäußert und weiter geschwiegen.
Viertens: Was den Ingegnere und seine Rolle bei den illegalen Telefonmitschnitten betraf, das roch stark nach organisiertem Verbrechen.
In seinen Schlussbemerkungen verlangte Marino, die beiden Fälle, die Entführung und die Mitschnitte von illegal abgehörten Telefonanrufen, sollten zu einem Fall zusammengelegt werden, in dem die SCO parallel zu ihnen ermitteln sollte, und zwar unter der Leitung der Antimafia-Behörde, während das Einsatzkommando von Tenente Colonnello Glauco Sereni unabhängig davon versuchen sollte, mögliche Verbindungen mit dem Verschwinden der beiden Della-Seta-Kinder zu finden, wenn es denn solche gäbe. Und er und Sandra Leoni würden inzwischen ihren eigenen Spuren nachgehen.
»Zu viele Leute, zu viele verschiedene Organe«, meinte die Leoni kopfschüttelnd zu ihm. »Damit kommst du nie
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