Denn dein ist die Schuld
ihn vom Körper weg. Sein Komplize griff schnell nach dem dünnen Arm, schob den Ärmel des Pullovers bis zum Ellbogen hoch und band ihn mit geübten Bewegungen und unter Zuhilfenahme der Zähne ab. Ohne den Griff zu lockern, holte er mit der anderen Hand eine bereits aufgezogene Insulinspritze aus der Tasche, entfernte die Kappe mit den Zähnen und traf mit der feinen Nadel gleich beim ersten Versuch die Vene.
Schnelle, geübte Bewegungen, wie bei einem Junkie.
Es dauerte nur einige Sekunden, man hätte höchstens bis fünf zählen können, und Ivan war außer Gefecht gesetzt.
Die beiden verließen den Raum und schlossen die Tür hinter sich. Die ganze Aktion hatte nicht einmal drei Minuten gedauert.
Eine knappe halbe Stunde später kam der kleine, untersetzte Mann mit einer Halbliterflasche Mineralwasser zurück, die er hinter der Tür neben dem unberührten Karton von McDonald’s deponierte, und hatte auch eine Militärdecke aus dunkler, grober Wolle mitgebracht.
Er ließ das Wasser auf dem Tablett neben dem Hamburger und der ebenfalls noch verschlossenen Flasche zurück, die Decke warf er über den Körper des bewusstlosen Jungen. Wäre Ivan zu sich gekommen, hätte er einen Wagen wegfahren hören, nachdem jemand mehrfach versucht hatte, den kalten Motor in Gang zu bekommen.
Und er hätte in der Decke eine kleine Haarspange gefunden.
Eine Druckklemme mit einer rosa Schleife.
Doch zum Glück konnte Ivan momentan weder sehen noch sonst etwas spüren. Glücklicherweise war er durch eine Dosis Ketamin, ein Narkosemittel für Tiere, in einen tiefen künstlichen Schaf gesunken.
KAPITEL 31
Freitag, 9. Februar, 15:30 Uhr
Der Freizeitraum quoll über vor Kindern, die in verschiedenen Sprachen herumbrüllten. Das Haus der SaMCo war das einzige Jugendzentrum im Umkreis von vielen Kilometern, und in den Vierteln, die sich eng wie Frischhaltefolie um die Kirche gelegt hatten, lebten bestimmt keine Leute, die die Tage ihrer Kinder mit außerschulischen Aktivitäten wie Ballett, Schwimmen, Fechten, Englisch- oder Klavierunterricht ausfüllten.
Hier wohnten Menschen, die jede Arbeit annehmen mussten und ihre Kinder den ganzen Tag in der Wohnung sich selbst überließen. Deshalb bildete das Zentrum unabhängig von der Religionszugehörigkeit einen beliebten Freizeittreffpunkt. Abends begegnete man hier oft tief verschleierten Müttern, manche sogar mit Burkas, die ihre widerstrebenden Sprösslinge namens Mohamed, Ali oder Mustafa mit Gewalt vom Tischfußball wegzerren mussten.
Als Don Mario an diesem Tag hierherkam, der sonst nur selten einen Fuß in den Raum setzte, starrten ihn alle mit offenem Mund an.
Nach einem flüchtigen Gruß an die Kinder eilte er direkt zur Theke.
»Don Mario, was für eine Freude! Wie geht es Ihnen? Endlich bekommen wir Sie mal wieder zu Gesicht. Was kann ich Ihnen anbieten?«
Die blonde Kellnerin war plötzlich zwischen dem Glas mit den Lutschern und dem Ständer für die amerikanischen Zigaretten aufgetaucht und begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln. Sie war eine auffallende Erscheinung und strahlte hell wie der Vollmond im August.
»Guten Tag, Lucia. Nein danke, keinen Kaffee für mich. Ich bin nur gekommen, um dich zu fragen, ob du Luciano heute gesehen hast. Du weißt, wen ich meine, oder? Lucianone. Der Junge, der …«
»Um Gottes willen, ich weiß schon, wer das ist. Der mit dem ganzen Metallkram im Gesicht und der stinkt wie ein Kamel. Nein, der hat sich heute noch nicht blicken lassen. Ich hoffe, den haben sie endlich verhaftet …«
»Kannst du mir sagen, an welchen Tagen ich ihn am ehesten hier antreffen kann? Wann kommt er üblicherweise her?«
»Na ja, Don …«
Lucia, eine der beiden freiwilligen Helferinnen, die einander hinter dem Tresen abwechselten, fuhr sich mit der Hand über ihre mit vielen Klammern gehaltenen Haare mit den gespaltenen Spitzen. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Der hat keine festen Tage, er kommt hier vorbei, wann er Lust hat. Aber ich kann ja Maria fragen, die an den geraden Tagen Dienst hat. Es bekommt sowieso jeder mit, wenn er da ist. Normalerweise müssen wir dann Don Andrea rufen, denn der Junge ist ein arroganter Angeber und ständig auf Krawall gebürstet. Stellen Sie sich vor, einmal hat er …«
»Ja, bitte fragen Sie Maria«, unterbrach sie der Pfarrer. »Und ruft mich an, sobald ihr ihn seht. Auf dem Handy. Sie haben meine Nummer?«
»Nein, aber sie steht in unserem Buch.«
»Also dann, wir sehen uns. Einen guten
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