Denn dein ist die Schuld
Unterlagen hervorgeht, war die Eminescu alles andere als vertrauenswürdig. Drogen-, Währungsund Menschenhandel beziehungsweise Schmuggel von Frauen ihrer eigenen Nationalität zum Zwecke der Prostitution … Sie war mit einem illegalen Waffenhändler verheiratet, und in ihrem eigenen Land wird sie steckbrieflich gesucht, also wirklich! Die drängendste Frage ist doch jetzt: Wie hat sie es geschafft, die Simonellas davon zu überzeugen, dass man sie einstellt und ihr den einzigen Sohn anvertraut? Wer hat sie der Familie vorgestellt? Welche Referenzen hat sie vorgelegt? Und vor allen Dingen - warum beschließt eine Frau mit ihrem kriminellen Hintergrund, die wegen mit Sicherheit äußerst lukrativer illegaler Geschäfte gesucht wird, plötzlich, wie eine Studentin für ein paar Euros als Kindermädchen zu arbeiten?«
Der Staatsanwalt unterbrach sich, um kurz Luft zu holen. Diese Gelegenheit nutzte Vincenzo Marino, um sich wieder die Aufmerksamkeit zu sichern.
»Ich habe die junge Frau gesehen, sie saß in meinem Büro, und ich habe sie über mehrere Stunden vernommen«, sagte er, sobald alle Augen auf ihn gerichtet waren. »Jetzt verzeihe ich es mir selbst nicht, dass ich sie gehen ließ. Ich hatte zwar keine konkreten Verdachtsmomente, um sie festzuhalten, aber ich hätte mir sicher etwas einfallen lassen können, um Zeit zu gewinnen … Allerdings sagt mir mein Gefühl - das ist wirklich nur ein persönlicher Eindruck, ich bitte das zu beachten, Dottor Salvini -, dass diese Frau sich absolut sicher war, das uneingeschränkte Vertrauen der Simonellas zu besitzen. Sie war so überzeugt, dass es sie völlig überrascht hat, als wir ihr mitteilten, dass ihre Arbeitgeber sie nach der Entführung des Babys nicht mehr in ihrem Haus haben wollten. Sie hätte uns beinahe nicht geglaubt. Würde man diese Reaktion bei einer normalen Person als Zeichen der Befremdung interpretieren, bekommt sie bei einer Frau mit einer kriminellen Vergangenheit wie die der Eminescu einen Beigeschmack von … wie soll ich sagen, Komplizenschaft. Als hätte eine Vereinbarung zwischen ihr und den Kindseltern bestanden, die diese dann gebrochen hätten.«
»Ispettore, unterstellen Sie den Simonellas Mittäterschaft an der Entführung des eigenen Kindes?« Dottor Salvinis Augenbrauen hoben sich bei diesen Worten, als wollte er seine Skepsis unterstreichen
»Warum eigentlich nicht? Mir kam es so vor, als bestünde zwischen der Eminescu und ihren Arbeitgeben eine deutlich komplexere Beziehung als ein normales Arbeitsverhältnis. Allerdings will ich keine Spur vernachlässigen. Und ich möchte alles über die Simonellas wissen. Er ist Ingenieur, oder? Und arbeitet für ein internationales Mobilfunkunternehmen. Eine nicht gerade saubere Gesellschaft, was die Vermögensverhältnisse und den Tätigkeitsbereich betrifft, da sie in illegale Abhöraktivitäten verstrickt ist. Wenn man im Leben anderer herumschnüffelt, kann sich das als sehr lukrativ erweisen, aber es ist vor allem gefährlich. Außerdem laufen zurzeit Ermittlungen gegen dieses Unternehmen wegen der Weitergabe illegaler Mitschnitte von Telefongesprächen. Das kann alles nur Zufall sein, aber ich möchte diesbezüglich Klarheit. Welche Position bekleidet der Ingegnere tatsächlich in diesem Unternehmen? Womit beschäftigt er sich, wenn er nicht auf Meetings mit Vorständen und Verwaltungsräten ist? Wie reich ist er?«
»Darüber ermitteln bereits die Finanzbehörden, Ispettore.«
»Das weiß ich. Es war nur eine rhetorische Frage. Allerdings war sie bestimmt nicht unbegründet. Eine Wohnung im Viale Majno kostet ein Vermögen, und sie gehört tatsächlich den Simonellas. Aus welchen Quellen speist sich sein Privatvermögen? Warum hatte er eine Person wie die Eminescu im Haus, die dermaßen zwielichtig ist, dass man ihr nicht einmal die eigenen Katzen anvertrauen möchte? Und wo haben sie sie kennen gelernt, wer hat sie ihnen vorgestellt? Warum wollten sie, dass sie mit dem Baby bei jedem Wetter spazieren ging? Und was macht Signora Simonella tagsüber, wenn sie mal nicht beim Friseur ist? Kann sich das Ehepaar tatsächlich ein Vollzeitkindermädchen leisten, obwohl Madame nicht arbeiten geht?«
Vincenzo Marino, der sich richtig in Fahrt geredet hatte wie ein Anwalt mitten im Plädoyer, bemerkte nicht, dass der Staatsanwalt nervös zur Uhr blickte.
»Das sind die Fragen, auf die ich Antworten finden möchte«, meinte er abschließend. »Und die in Rozzano verschwundenen Kinder …
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