Denn Gruen Ist Der Tod
Windschutzscheibe.
Er hasste Observationen mehr als alles andere. Sie dauerten Ewigkeiten, waren langweilig, in der Regel fruchtlos und brachten sein Privatleben durcheinander. Normalerweise sollte er jetzt eigentlich mit seiner Freundin unten im Dog and Bear sitzen, ein Bier trinken und ein bisschen Tratsch mit George und Glenda austauschen. Aber stattdessen musste er so einen Trottel überwachen, der wahrscheinlich ohnehin über die Aktion informiert war und deshalb bestimmt keinen Fehler machen, geschweige denn einen Mord begehen würde. Er warf Jock einen schrägen Seitenblick zu.
»Ich sehe was, was du nicht siehst, und das fängt mit ›W‹ an.«
Jock sah ihn mit gespieltem Interesse an. »Windschutzscheibe.«
»Richtig!«
Jetzt war Jock an der Reihe. »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das fängt mit …«
»… ›W‹ an«, warf Morant ein. Jock nickte, und Morant sagte: »Windschutzscheibe.«
Jock schüttelte den Kopf. »Das kannst du wirklich gut!«
»Reine Übungssache.«
Jock stimmte ihm zu. »Genauso ist es bei mir mit dem Sex.«
»Besonders, wenn du allein bist, wie ich gehört habe«, entgegnete Morant und grinste.
Jock warf ihm einen finsteren Blick zu und sie fingen beide an zu lachen. Da bemerkte Morant eine attraktive junge Frau, die zu ihnen herüberkam. Sie trug ein Tablett mit zwei Gläsern darauf und trat an die Beifahrerseite. Jock kurbelte die Scheibe herunter. Er hatte ein flaues Gefühl im Bauch. Lächelnd sah sie zu ihnen ins Auto.
»Mister Bird meinte, Sie sähen etwas genervt aus, und bat mich, Ihnen ein paar Drinks zu servieren.«
Die beiden Detectives sahen sich an, sie waren misstrauisch und gleichzeitig erstaunt. Die Frau setzte noch eins drauf: »Er sagte, er hätte sie gern selbst gebracht, aber er musste dringend fort.«
Die Detectives stöhnten unisono auf. Jock nahm die Gläser und reichte eins an seinen Partner weiter. »Sie wird uns an den Eiern aufspießen!«
Morant prostete mit seinem Glas der Kellnerin zu, die ihn anlächelte. »Zum Teufel, was solls! Sie können uns nur einmal hängen!«
Und die beiden leerten ihre Gläser in einem Zug.
Sam und Marcia sahen sich einen Moment lang an, bevor Sam endlich den Mut aufbrachte, an die Tür des Schuppens zu klopfen. Fast augenblicklich öffnete sie sich und der Totengräber stand mit der Schaufel in der Hand vor ihnen. Er sah verärgert aus. Sam stellte sich vor: »Doktor Ryan, ich habe mit dem Pfarrer telefoniert.«
»Sie kommen zu spät. Der Pfarrer sagte mir, Sie wären um vier hier. Jetzt ist es halb fünf. Ich habe auch noch etwas anderes zu tun, als hier auf Sie zu warten.«
Sam entschuldigte sich. Was sollte sie sonst tun? »Sorry, wir haben im Stau gestanden. Sie wissen ja, wie das ist.«
Er sah sie einen Moment lang schweigend an, schwang dann die Schaufel über die Schulter und kam aus dem Schuppen heraus. Als er auf Marcia zuging, wich sie unwillkürlich zurück und dachte sogar eine Sekunde lang daran, einfach wegzulaufen. Einzig der Hund des Totengräbers hielt sie davon ab. Er kam schwanzwedelnd auf sie zugelaufen und versuchte herauszufinden, ob sie freundlicher oder feindlicher Gesinnung war. Marcia ging in die Hocke und streichelte ihn. Sofort rollte er sich auf den Rücken. »Süßer Hund!«, sagte sie.
Wortlos schritt der Totengräber über den Friedhof, gefolgt von Marcia und Sam. Als sie an den alten Grabsteinen und Gruften vorbeigingen, bemerkte Sam zum ersten Mal, wie schön die Anlage eigentlich war. Hier, inmitten der Gräber, blühte das Leben in bunter Vielfalt. Sie hatte noch nie so viele unterschiedliche wilde Blumen an einem Ort gesehen. Seltene Efeuarten überwucherten die alten Steine, während kleine Bäume und Büsche sich aus den alten Gräbern erhoben wie die Finger der Toten, die sich dem Licht entgegenreckten. Der Herbst hatte alles verändert und verglichen mit den menschlichen Überresten, mit denen sie es normalerweise zu tun hatte, zeigte der Tod sich hier von seiner schönen Seite. Als ob die verfärbten Blätter eine letzte Chance nutzten, darauf hinzuweisen, wie schön die Pflanzen auch im Leben gewesen waren. An diesen Ort wollte sie gern noch einmal zurückkommen.
Sie erreichten endlich die Grabanlage, die sie suchten, und der Totengräber drehte sich zu ihnen um. »Viel Arbeit für nichts, wenn Sie mich fragen. Sie werden hier nichts finden, die Polizei hat das ganze Grab schon auf den Kopf gestellt. Und sie haben nicht alles wieder an seinen Ort
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