Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
schwarz gewesen. Hätte er zwei weiße Frauen getötet, würde er jetzt höchstwahrscheinlich bei Walter im Todestrakt sitzen. Aber das war nur ein schwacher Trost für Bobby Ray, der mittlerweile clean war und sich nach draußen sehnte, um ein drogenfreies Leben kennenzulernen. Er ging nicht so weit, zu behaupten, es sei ungerecht, dass er clean für das eingesperrt war, was sein drogenbenebeltes Alter Ego getan hatte, aber Barbara merkte, dass ihm das zusetzte. Sie fand, er würde eine zweite Chance verdienen, gleichzeitig ahnte sie, dass er sie vermasseln würde, falls er sie je bekam. Das Gefängnis hatte ihm ein drogenfreies Leben aufgezwungen, aber kein echtes Verantwortungsbewusstsein. Bobby Ray war für die Welt draußen nicht gerüstet, aber das würde sie dem Bewährungsausschuss natürlich nicht sagen, sollte sie je in die Situation kommen. Sie würde einen Antrag für ihn stellen und tun, was sie konnte, damit er es schaffte.
Sie packte ihre kleine Tasche aus, obwohl sie das Zimmer nur vierzehn Stunden nutzen und auf dem Weg zum Gefängnis schon auschecken würde. Sie überlegte, ob Eliza Benedict ebenfalls in diesem Motel übernachtete oder ob sie erst am nächsten Tag herfahren würde. Vielleicht würden sie sich morgen beim Frühstücksbuffet begegnen. Sie rief die Rezeption an und bat um Weiterleitung zu Eliza Benedicts Zimmer. »Unter diesem Namen hat niemand eingecheckt, Miss Barbara«, sagte die Empfangsdame. Dann unter Lerner? »Nein, uns liegt unter beiden Namen keine Reservierung vor.«
Umso besser. Ihre Anwesenheit würde Eliza nervös oder sogar misstrauisch machen. Wahrscheinlich hätte sie gar nicht herkommen sollen, aber es war nicht verboten, und Bobby Ray freute sich auf ihre Besuche. Warum sollte er leiden? Außerdem brachte sie Walter gutes Karma. Sie sandte ihre Energie aus und versuchte, eine Aura zu schaffen.
Barbara zog die Tagesdecke vom Bett – eine Freundin, die in Baltimore Zimmermädchen in die Gewerkschaft bringen wollte, hatte ihr erzählt, dass es in Tagesdecken von Motels von Bakterien nur so wimmelte – und legte sich direkt aufs Bettzeug. Mit der Fernbedienung schaltete sie bis zu CNN durch, wo sie die Laufschrift am unteren Bildschirmrand las. Dienstag würde dort Walters Name erscheinen, egal wie ihr Plan ausging. Das hieß, seinen Namen würde man wahrscheinlich nicht verwenden. Man würde ihn auf TODESKANDIDAT oder SERIENMÖRDER AUS VIRGINIA reduzieren. Die zweite Bezeichnung störte sie aus mehreren Gründen. Zunächst einmal traf sie nicht zu. Machten zwei schon eine Serie aus? Dem Wesen nach war Walter eher ein Affekttäter, was schon dieser abstoßende Jared Garrett richtig erkannt hatte. Nach allem, was Walter ihr erzählt hatte, vermutete sie bei ihm eine psychische Störung, ausgelöst durch etwas, was die beiden Mädchen gesagt oder getan hatten. Eine Frau in Texas hatte behauptet, sie sei vorübergehend unzurechnungsfähig gewesen, nachdem die Frau ihres Geliebten ihr den Mund verbieten wollte, und dann habe die Frau plötzlich auf dem Boden ihrer Garage gelegen, erschlagen mit ihrer eigenen Axt. Und diese Frau war freigesprochen worden. Barbara hatte nie versucht, Walter über die Morde auszufragen. Das wäre ihr vulgär und geschmacklos vorgekommen. Außerdem gab es diesen Walter nicht mehr. Ebenso wie Bobby Ray war er im Gefängnis ein anderer Mensch geworden.
Im Gegensatz zu Bobby Ray würde er sein neues Wesen nie in Freiheit erkunden können, trotz größerer Erfolgsaussichten. Walter besaß gute Fähigkeiten, und er hatte ernsthaft über seine Taten nachgedacht.
Aber erst Barbara hatte ihn in ihren Briefen auf die offensichtlichen Widersprüche in Elizabeth Lerners Aussage hingewiesen, auf die grobe Ungereimtheit, die ein besserer Anwalt in der Luft zerpflückt hätte. Warum war all die Jahre zuvor niemand darauf aufmerksam geworden? Weil niemand es wollte, niemand wollte das tapfere Mädchen, das dem schrecklichen Vergewaltiger und Mörder entkommen war, zu sehr unter Druck setzen. Nicht einmal Walter war etwas aufgefallen.
Sie bestellte bei einem Lieferdienst in der Nähe eine Pizza mit Pilzen und Zwiebeln und bereitete Tee in der Karaffe zu, die im Zimmer stand, spülte sie aber vorher sorgfältig aus. Ihre Freundin mit der Warnung vor den Tagesdecken hatte ihr auch erzählt, sie habe mal gesehen, wie ein Zimmermädchen eine Kaffeemaschine mit einer Toilettenbürste reinigte. Das musste man sich mal vorstellen. All die kleinen Verbrechen
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