Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
gegen die Menschlichkeit, die Grobheiten und Unhöflichkeiten Tag für Tag, denen niemand etwas entgegensetzte, all die Taten von Menschen, die sich für gut hielten, von den gleichen Menschen, die jubelten und bösartige Kommentare ins Internet stellten, wenn jemand wie Walter getötet wurde. Sie benutzten Begriffe wie »Tier« und »Ungeheuer« und schrien laut nach qualvollen, sadistischen Hinrichtungen. Dabei waren sie genauso Mörder, feige Mörder, die ihren Blutdurst auf den Staat übertrugen und sich einredeten, dass ihre Morde der Gerechtigkeit dienten.
Kapitel 43
Beim Aufwachen dachte Walter an Ketchup. Warum dachte er an Ketchup? Ach, weil ihm die Werbung dafür eingefallen war, dieser Spot, in dem das Ketchup zu einem musikalischen Crescendo bebend den Flaschenrand erreicht, feierlich wie bei einem ersten Kuss. Vor Kurzem hatte er gelesen, dass es in dem Werbesong eigentlich um eine Verabredung ging, aber er vermutete, dass Verabredung in diesem Fall Sex bedeutete. Walters Erfahrung nach konnte eine zu hohe Erwartung – an-ti-ci-pa-a-a-tion – alles kaputtmachen, sie versprach einem mehr und bessere Dinge, als man bekam, und nachher rastete man aus. Er wollte keine an-ti-ci-pa-a-a-tion spüren, er wollte sich nicht auf die Schwerkraft oder eine andere Naturgewalt verlassen müssen, damit etwas in Bewegung kam, sich entfaltete, geschah. Er selbst wollte die Dinge in Gang bringen. Endlich wieder.
Er fasste sich an, aber nicht weil er an sie dachte. So empfand er einfach nicht für sie. Dafür hatte er sich immer bei ihr entschuldigen wollen, aber wie sollte das gehen? Damit hätte er noch Salz in die Wunden gestreut. Selbst als er mit ihr zusammen war, hatte er nicht an sie gedacht. Vielleicht war das der ganze Trick. Liebe die Frau, die bei dir ist, aber denk an eine andere.
Dennoch mochte er sie. Er freute sich darauf, sie zu sehen und persönlich mit ihr zu reden. Außerdem würde sich herumsprechen, dass eine Frau ihn besucht hatte, und das würde ihm echtes Prestige verschaffen, besonders wenn die Leute hörten, dass sie hübsch war. Sie würde natürlich nicht in diesem grünen Kleid und mit gegelter Hochsteckfrisur kommen, aber sie würde wahrscheinlich nicht schlecht aussehen. Er hoffte nur, dass er noch bleiben und seinen aufpolierten Ruf genießen konnte. Und falls er tatsächlich noch mehr Zeit bekam, würde er für mehr Ruhm ernten als nur für den Besuch von einer rothaarigen Frau.
Barbara hatte vorgeschlagen, er sollte ein Drehbuch schreiben, sie könnten bei einem ihrer Telefonate üben. Ein Rollenspiel hatte sie es genannt. Drehbücher! Rollenspiele! Barbara, die sich als Elizabeth ausgab! Das würde nie funktionieren. Er musste locker und spontan sein. Und durfte dabei die Uhr nicht vergessen. Seine Zeit für Spielchen lief ab.
Gerade als seine Erlösung kam, dröhnte ein allzu vertrautes Geräusch durch Sussex I, das lauteste, am meisten gefürchtete Geräusch an einem Ort voll lauter, gefürchteter Geräusche. Nein. Nein. Bitte nicht, Gott. Tu mir das nicht an.
Kapitel 44
Eliza und Vonnie näherten sich dem Gefängnistor, so nervös wie die meisten Menschen, die selten in Schwierigkeiten geraten waren und wussten, dass sie eine Welt betraten, in der die Macht vollkommen anders verteilt war als auf der anderen Seite des Zauns. Sie würden tun müssen, was man ihnen sagte, nur dorthin gehen, wo es erlaubt war, nicht einmal offen sprechen dürfen. Ein großer Teil Freiheit, den man da aufgab, selbst für eine Stunde, selbst im Namen einer guten Sache. Eliza hatte verschwitzte Hände, Vonnie wirkte angespannt.
Als der Wachmann sagte: »Tut mir leid, heute ist keine Besuchszeit«, widersprach sie ihm daher nicht direkt, sondern reagierte verwirrt.
»Das ist ein besonderer Fall«, erklärte Eliza. »Mein Name müsste auf Ihrer Liste stehen.«
»Ihren Namen habe ich. Ich habe alle Namen«, erwiderte der Wachmann nicht unfreundlich. »Trotzdem kommt heute niemand rein. Letzte Nacht wurde etwas in Sussex II gefunden, jetzt gilt im ganzen Gefängnis Einschluss. Kommen Sie am nächsten regulären Besuchstag wieder, das müsste in zwei Wochen sein.«
»Der Mann, den sie besuchen will, ist nächste Woche tot«, warf Vonnie ein und beugte sich vor Eliza.
»Ach, wirklich?« Tonlos, ungerührt. »Tja, ich kann da nichts machen. Heute kommt hier keiner rein, das ist so. Und davon ist niemand begeistert.«
»Es muss doch eine Möglichkeit geben«, versuchte Vonnie es weiter. »Es gibt für
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