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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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so einfach und narrensicher hielt wie ein Kuchenrezept. Sag das und das, dann findest du eine Freundin. Sie wollte ihm sagen: Sie geht doch erst zur Middleschool. Sie wollte sagen: Sie versteht nicht, wovon du redest. Stattdessen blickte sie durchs Fenster auf die verwischten grüngoldenen Farben von Virginia in der ersten Herbstwoche.
    Sie musste daran denken, wie sie als kleines Mädchen, fünf, sechs Jahre alt, unbedingt die hundert Plastikpuppen bestellen wollte, die für einen Dollar auf den letzten Seiten eines Comics angeboten wurden, wahrscheinlich bei Betty and Veronica . Hundert Puppen für einen Dollar! Das klang zu gut, um wahr zu sein. Vermutlich war es das auch nicht, warnte sie ihre Mutter. Die Puppen wären sicher winzig klein und billig. Aber es war Elizabeths Dollar, sie konnte ihn ausgeben, wofür sie wollte. Sie bestellte die Puppen, und als sie kamen, waren sie noch kleiner und billiger, als ihre Mutter prophezeit hatte. Aber ihre Mutter sagte nicht: Ich hab’s dir doch gesagt, oder: Lass dir das eine Lehre sein. Sie sagte: »Komm, wir machen einen Puppenbaum . « Sie knoteten Kräuselband um die Puppen und hängten sie an die Äste eines eingetopften Ficus. Als ihr Vater abends nach Hause kam, lachte er laut los. »Billie Holiday lässt grüßen«, prustete er . Und dann: »Inez, mit den geisteskranken Straftätern hast du wirklich die richtige Nische für dich gefunden.«
    Nach einem Moment der Verblüffung lachte auch ihre Mutter, dann erklärte sie Elizabeth die Anspielung. Billie Holiday hatte Ende der Dreißigerjahre über die Opfer von Lynchmorden gesungen, die an Bäumen erhängt wurden. Ihre Eltern spielten ihr das Lied, »Strange Fruit«, auf der Stereoanlage ihres Vaters vor, nachdem er die Platte aus einem dicken Album mit fünf oder sechs Scheiben gezogen hatte, auf das er extrem stolz war. Das Cover zeigte ein Aquarell von einer Frau mit einer Blume im Haar. Sie redeten mit Elizabeth über die Geschichte des Südens und über Bürgerrechte. Sie waren lieb und gründlich und voller Rücksicht. Es war nur so, dass Elizabeth diesen Baum geliebt hatte. Sie fand ihn wunderschön, und es machte sie traurig, dass ihr Vater ihn zu einem morbiden Scherz degradierte. Walter glich Elizabeth mit sechs Jahren; er sah nur, was er sehen wollte. Sicher, er war ein erwachsener Mann, und er hätte nicht so dumm sein dürfen, einem albernen Buch zu glauben. Trotzdem weckte er in diesem Moment ihren Beschützerinstinkt, und er tat ihr leid.
    Er tat dir leid?
    Der Staatsanwalt in Virginia schleuderte ihr die Worte entgegen, so wie ein ungeduldiger Vater oder Lehrer ein Kind bei einer offensichtlichen Lüge anblaffen würde. Und das, nachdem dieser Staatsanwalt, im Gegensatz zu dem in Maryland, immer freundlich und behutsam mit ihr umgegangen war. Der in Maryland hatte sich von Anfang an entnervt gegeben.
    Aber jetzt waren sie diesen Tag zum ersten Mal in allen Einzelheiten durchgegangen. Sie hatten stundenlang geredet, und Elizabeth, die sich jetzt Eliza nannte, war müde.
    »Nicht unbedingt leid. Aber ich habe verstanden, was in seinem Kopf vorgeht.«
    »Dann hat dir Holly sicher noch mehr leidgetan.« Der junge Anwalt nickte ihr aufmunternd zu. »Weil du genau wusstest, was sie durchmacht.«
    »Ja«, sagte sie, weil er das hören wollte. Und nach einem kurzen Blick auf ihre Eltern: »Nein.«
    »Du hattest kein Mitleid mit Holly.« Er sprach tonlos, als würde ihr das klarmachen, wie lächerlich sie war. »Du konntest nicht nachvollziehen, was sie durchgemacht hat.«
    »Ich wusste nicht, was sie denkt. Ich habe sie ja nicht gekannt.«
    »Sie hat doch geweint. Und du wusstest, wie du dich gefühlt hast, als Walter dich entführt hat.«
    »Ja, aber …«
    Der Staatsanwalt unterbrach sie. »Mehr musst du gar nicht sagen. Sie hat geweint, sie war aufgeregt, und ihr war klar, dass sie in einer schlimmen Situation steckte. Hör mal, Elizabeth« – vor Gericht würde sie noch Elizabeth sein –, »entscheidend ist, dass Walter Holly entführt und den Inhalt der Geldkassette gestohlen hat. Also konzentrieren wir uns darauf. Als sie gehen wollte, hat er es nicht erlaubt, richtig?«
    »Richtig.« Holly war sogar noch hübsch, wenn sie weinte. Mister, Mister. Bitte lassen Sie mich gehen. Mein Papa gibt Ihnen Geld, Mister.
    »Und er hat ihr Geld gestohlen?«
    »Er wollte es haben, und sie hat es ihm gegeben.«
    »Aber das war, nachdem sie gesagt hatte, dass sie gehen will, richtig? Wie viel später?«
    »Eine

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