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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Stunde? Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Die Uhr im Pick-up war kaputt. Walter hat oft gesagt, der Schuster hat die schlechtesten Schuhe, und das Auto eines Mechanikers ist nie so schön wie die, die er repariert.«
    Der Staatsanwalt interessierte sich offenbar nicht für Walters Weisheiten.
    »Er hat also Hollys Geld genommen.«
    »Ja, um für uns Hamburger zu kaufen.«
    »Richtig. Trotzdem hat das Geld Holly gehört, und Walter hat es ihr weggenommen. Gewaltsam.«
    »Ja, schon. Ich meine, er hat ihr die Kassette weggenommen, sie wollte sie ihm nicht geben. Er hat sie nicht geschlagen oder so was, aber er musste Hollys Arme wegbiegen, um sie zu bekommen.«
    Der Staatsanwalt nickte. »Er hat also das Geld genommen und dann …?«
    »Hat er es mir gegeben und mich zu McDonald’s reingeschickt, um Essen zu kaufen, weil er meinte, Holly würde nicht brav sein, wenn wir zum Autoschalter fahren.«
    Die Stille im Raum erinnerte Eliza/Elizabeth an etwas, das sie im Chor der Middleschool gesungen hatte, eine Zeile aus Robert Frosts Gedicht »Innehaltend inmitten der Wälder an einem Schneeabend«. Diese Stille war wie die Wälder im Gedicht – dunkel und tief. Aber nicht anheimelnd, wirklich nicht, alles andere als anheimelnd. Sie konnte ihre Mutter buchstäblich schlucken hören. Sie hörte – sah nicht, sondern hörte –, wie ihr Vater die Hand ihrer Mutter nahm, das knappe Luftholen des Staatsanwalts. Plötzlich konnte sie alles hören. Das Summen der Neonröhren, das leise Blubbern des Wasserspenders auf dem Flur, ihre Hände, die über die Beine ihrer schwarzen Hose auf und ab strichen. Baumwoll-Twill mit Bundfalten, dazu eine hochgeschlossene Bluse mit einer Brosche am Hals, wie sie es in einem Film gesehen hatte.
    »Kannst du das wiederholen, Elizabeth?«
    »Er hat mir das Geld gegeben und mich zu McDonald’s reingeschickt, um Essen zu kaufen.« Sie war stolz darauf, wie sie das sagte, Wort für Wort, beinahe genauso wie beim ersten Mal. Das war bei solchen Sachen sehr wichtig. Aber der Staatsanwalt sah nicht aus, als wäre er stolz auf sie.
    »Und du …«
    »Ich habe drei Hamburger Royal gekauft. Walter mag keine Gurken, deswegen musste ich warten, bis seiner frisch gemacht wurde. Und ich musste mir merken, welche die normale Cola war und welche die Cola light. Walter hat normale Cola getrunken, aber er fand, Mädchen sollten Cola light trinken, weil man von Limo dick werden kann, wenn man nicht aufpasst. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass Holly das Gleiche isst wie wir, da sie nicht gesagt hat, was sie will. Und ich musste zusehen, dass ich genug Ketchup-Tütchen bekam. Sie geben einem nie genug, nur zwei kleine, und wenn man nicht richtig fragt, werden sie knurrig.«
    »Knurrig?«
    »Das hat Walter gesagt. Ich bin mit den Sachen zum Auto gegangen, dann sind wir ein Stück gefahren, bis zu einer Ecke, wo wir essen konnten, möglichst noch mit warmen Pommes. Holly wollte nicht essen, also hat Walter ihre Sachen genommen und die Gurken rausgepult. Keine Ahnung, warum er das mit seinem Burger nicht auch gemacht hat.«
    »Elizabeth?«
    »Ja?«
    »Als du bei McDonald’s warst – warum hast du niemandem gesagt, was gerade passiert?«
    »Was meinen Sie?«
    »Dass du entführt wurdest und dass dein Entführer mit einem zweiten Mädchen im Auto sitzt?«
    Das hatte sie noch niemand gefragt, aber es war auch noch niemand den Tag so genau mit ihr durchgegangen. Bei ihrer Rettung hatte man ihr nur gnädig kurze Fragen gestellt. Wie ging es ihr? Was hatte er ihr angetan? Hatte er …? Sie hatte ihnen von Holly erzählt, dem Schrei in der Nacht, dem Lagerplatz in den Bergen, den Orientierungspunkten, an die sie sich erinnerte. Und wochen-, monatelang hatte das genügt. Aber jetzt liefen die Vorbereitungen für Walters Prozess, und alles, wirklich alles, musste in sämtlichen Einzelheiten besprochen werden. Genauso musste sie ihre Geschichte erzählen, in ihren eigenen Worten. Sie dachte, das würde sie tun.
    Die Hamburger hatte sie vergessen.
    »Das konnte ich nicht. Er hat gesagt, er würde mir wehtun.«
    »Er hat doch im Auto gesessen. Mit Holly.«
    »Ja, weil er ihr nicht vertrauen konnte.«
    »Und dir schon?«
    »Wenn ich brav war, war er netter zu mir.« Sie sah zu ihren Eltern hinüber. Ihre Mutter nickte ihr aufmunternd zu, obwohl sie ein wenig benommen wirkte. Ihr Vater sah wütend aus, aber nicht auf sie. Er starrte den Staatsanwalt an.
    »Wie hast du dir Walters Vertrauen verdient?« Bei dieser Frage

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