Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
gar nicht aus wie ein Mädchen, das an einem schönen Samstagnachmittag am Straßenrand Marmelade verkaufte. Sie sah aus, als würde sie zu einem Footballspiel gehören. Als Cheerleaderin. Und wenn nicht als Cheerleaderin, dann mit einem Freund oder einer Truppe Freundinnen, die auf der Tribüne herumkicherten. Hinter ihr zog sich eine lange Auffahrt einen Hügel hinauf, ohne dass ein Haus zu sehen war. Auf einem Schild an einem Pfosten stand: »T’n’T Farm«. Irgendwoher wusste Elizabeth, dass dort keine echte Farm lag, sondern ein regelrechtes Anwesen, etwas Prachtvolles, das sich hinter diesem albernen Namen versteckte, und das war nichts anderes, als hintenrum anzugeben.
»Ich weiß nicht mehr, ob ich das hier in der Nähe gekauft habe, aber wenn Sie zum Einkaufszentrum fahren …«
»Wie kommen wir dahin?«
»Es ist nicht weit. Sie fahren einfach weiter und biegen links auf die …«
»Ich bin nicht von hier. Die Namen sagen mir nichts. Liegt das auf deinem Weg? Könntest du ein Stück mit uns fahren und uns den Weg zeigen? Ich gebe dir fünf Dollar für die Mühe.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Fünf Dollar für dich und zehn für deine Sammlung. Das ist bestimmt mehr, als du heute schon eingenommen hast.«
Tu es nicht , dachte Elizabeth. Bitte nicht. Aber das Mädchen hatte sich schon die kleine Blechkassette mit dem Geld geschnappt und stieg in die Fahrerkabine des Pick-ups, nachdem Elizabeth herausgesprungen war und ihr die Tür aufgehalten hatte. Elizabeth staunte darüber, dass sie ihre Gläschen einfach stehen ließ, ganz im Vertrauen darauf, dass sie noch dort sein würden, wenn sie zurückkam. Im Vertrauen darauf, dass sie überhaupt zurückkommen würde.
»Hast du die Marmelade selbst gemacht?«, fragte Elizabeth.
»Hm-hm. Sie ist aus grünen Paprika, nach einem alten Rezept aus der Familie meiner Mutter. Mein Vater meinte, in dieser Gegend Paprikamarmelade zu verkaufen wäre, Eulen nach Athen zu tragen, aber ich fand das besser, als Autos zu waschen oder Kuchen zu verkaufen.«
»Wer ist Darlene Fuchs?«
»Ein Mädchen aus meiner Klasse, an der Middleburg Middleschool.« Also war Holly jünger als sie selbst, höchstens vierzehn. »Sie hat ein Hodgkin-Lymphom, und ihre Familie ist nicht versichert.«
Elizabeth spürte, wie das Mädchen sie musterte. Darin lag keine Wertung, ihr prüfender Blick war nicht boshaft oder zickig, sie nahm nur ihren Pick-up, ihre Kleidung, Walters Akzent bewusst zur Kenntnis. Hätten sie in einer Notlage gesteckt, hätte das Mädchen für sie vielleicht auch gesammelt. Sie hätte ihnen den Weg zum Einkaufszentrum gezeigt. Elizabeth allerdings hatte sie schon als anders abgestempelt, als jemanden, der nicht war wie sie. Deshalb bemerkte sie niemand, wurde Elizabeth klar. Walter hatte sie irgendwie angesteckt, hatte sie zu einem Teil seiner Welt gemacht.
»Hast du keine Angst, dass jemand deine Marmelade stiehlt?«, fragte Elizabeth.
»Nicht in dieser Gegend«, antwortete das Mädchen. »Meistens schließen wir nachts nicht einmal die Türen ab.«
»Wie heißt du?«
»Holly«, antwortete sie. Elizabeth wartete, aber Holly fragte nicht: Und du? Sie war unhöflich auf diese Art, die nur besonders höflichen Menschen eigen war: Sie waren so eingenommen von ihren hervorragenden Manieren, dass sie sie manchmal glatt vergaßen.
Ungeduldig und begierig ruckelte der Pick-up vorwärts. Ein brandiger Geruch mit einer süßlichen Note stieg auf. Walter hatte zu viel mit der Kupplung gearbeitet, um es den Hügel hinauf zu schaffen. »Holly«, sagte er. »Ein hübscher Name.«
»Danke.«
»Ein hübscher Name für ein hübsches Mädchen. Du bist eine reizende junge Frau, und du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert. Ich wette, du glaubst nicht an diesen ganzen Emanzenquatsch. Man muss nur sehen, wie die Arbeit in der Natur aufgeteilt ist. Die Männchen jagen und verteidigen und sorgen für Nahrung, die Weibchen kümmern sich um die Jungen und bauen das Nest aus. Wenn eine Frau keine Kinder haben will, ist das eine Sache. Aber wenn Frauen nicht zu Hause bleiben wollen, ist das unnatürlich.«
Holly rutschte hin und her, sie blickte von Elizabeth zurück zu Walter. Elizabeth merkte, dass Walter seine Erkenntnisse aus dem Buch einsetzte, wenn auch in seinen eigenen Worten. Sie wusste natürlich, dass er das Buch mochte, immerhin hatte er es aus der Bibliothek gestohlen. Aber ihr war bis jetzt nicht klar gewesen, dass Walter den Text wörtlich nahm, dass er ihn für
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