Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
später grübelte Eliza an ihrem Küchentisch über diese Frage nach. War es so undenkbar, dass Walter Bowman sie gewählt hatte statt Holly? Was ihre Eltern sagen würden, wusste sie: Walter war geisteskrank, unfähig zu echten Gefühlen. Walter war ein Soziopath. Er hatte niemanden gewählt.
Und doch hatte er das getan, und nur er wusste, warum. Egal was er jetzt von ihr wollte – dass ihm ein einseitiger Kontakt nicht genügen würde, war ihr von Anfang an klar gewesen; seine Formulierung »Ich würde dich überall wiedererkennen« sollte eine Erinnerung an eine alte Schuld sein –, auch sie wollte etwas von ihm. Sie wollte ihn fragen: »Warum ich?« War das falsch? War das egoistisch, unvernünftig? Entweihte schon die Frage das Andenken an die anderen, und wenn ja – was dann? Besaß sie nicht ein Recht darauf, durfte sie diese Frage nicht unter vier Augen dem einzigen Menschen stellen, der wusste, ob sie aus einem bestimmten Grund noch lebte?
Aber wenn sie es wagte, Walter diese Frage zu stellen, musste sie sich auch auf andere, weniger angenehme Antworten gefasst machen. Sie musste sich dem Mädchen stellen, das in eine McDonald’s-Filiale gegangen war und an nichts anderes als an Ketchup und Gurken gedacht hatte. Sie musste darüber nachdenken, was später in dieser Nacht geschehen war. »Wir müssen gehen« hatte er gesagt, und sie hatten stumm das Lager abgebrochen und waren gegangen. Als sie im Dunkeln die lange Serpentinenstraße hinunterfuhren, reichte er ihr Hollys Metallkassette, leer, die wohltätigen Dollars darin verschwunden, einige für Essen, der Rest in Walters Tasche gestopft. »Schmeiß das weg«, sagte er und grummelte missbilligend, als sie die Kassette unbeholfen aus dem Pick-up warf. »Du wirfst beschissen.« Er benutzte nur selten Schimpfworte, seine Kritik fühlte sich an wie eine Ohrfeige.
Die Kassette wurde wenige Tage später entdeckt und half der Suchmannschaft, das Lager zu finden, das Elizabeth ihnen beschrieben hatte, und dann auch Hollys zerschundene Leiche am gegenüberliegenden Abhang. Elizabeth wurde dafür gelobt, dass sie so klug gewesen war, diesen wichtigen Hinweis dicht neben der Straße fallen zu lassen.
Aber vielleicht hatte Walter recht: Sie warf einfach beschissen.
Teil II
Careless Whisper
1985 veröffentlicht
Platz 1 in der Billboard Hot 100 am 16. Februar 1985
Hielt sich 22 Wochen lang in der Billboard Hot 100
Kapitel 21
Das neue Telefon stand in der Schlafzimmernische auf einem Beistelltisch, den Eliza aus dem Keller ihrer Eltern gerettet hatte. Die örtliche Telefongesellschaft hatte sich erstaunlich heftig dagegen gewehrt, Eliza eine zweite feste Leitung zum Haus einzurichten, vielleicht weil sie den einfachsten Basistarif nehmen wollte, ohne Extras und mit einer begrenzten Anzahl ausgehender Anrufe pro Monat. Warum kaufen Sie sich kein Handy? , hatte die hilfsbereite junge Frau bei Verizon gefragt. Oder benutzen die Anklopffunktion? Tja, warum? Sie hätte ein billiges Wegwerf-Handy kaufen und es entsorgen können, wenn … eigentlich, wann immer sie wollte. Dass ihr Wunsch nicht unbedingt logisch war, wusste sie, aber sie hatte ihre Gründe. Sie wollte Walters Zugang zu ihr und zu ihrem Zuhause auf einen schmalen Draht beschränken, auf ein schnörkelloses Tastentelefon. Schlimm genug, dass er sie anrufen würde statt umgekehrt, noch dazu als R-Gespräch. Sie wollte zumindest das Mittel auswählen und den Zeitrahmen setzen, in dem er anrufen durfte – zwischen zehn und zwei, wenn das Haus leer war.
Die Kinder hatten sich neugierig auf das Telefon gestürzt, wie sich Kinder auf alles Neue stürzten, aber da es nichts Besonderes konnte, ließ ihr Interesse schnell nach. Als Erklärung hatten Eliza und Peter gesagt, es sei eine Leitung nur für Notfälle. Peter hatte es zu gut gemeint und behauptet, das Heimatschutzministerium hätte allen Bewohnern im Großraum Washington altmodische Telefone empfohlen, die auch ohne Strom funktionierten. Leider fachte diese kreative Lüge Albies Fantasie so stark an, dass seine Alpträume zurückkehrten. Eliza war so erschöpft wie nicht mehr seit Isos Babykoliken, benebelt von ständigen Kopfschmerzen wankte sie durch den Tag.
Doch das Telefon blieb stumm. Um mit einem Häftling in der Todeszelle zu sprechen, galt es einige bürokratische Hürden zu nehmen. Für jede von Elizas Forderungen – die spezielle Telefonleitung, die Zeit, in der Walter anrufen durfte – stellte die Gefängnisbehörde eine ganze
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