Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Für sie war es offenbar kein Problem, sich zu entspannen. Barbara wollte sie aus dem Auto heraus anschreien: »Wegen Ihrer Aussage wird ein Mann sterben. Er ist nicht mehr der Mensch, der diese Verbrechen begangen hat. Sie töten einen Geist, ein Phantom. Wie können Sie überhaupt noch schlafen? Wie können Sie damit leben? Wahrscheinlich wollen Sie, dass er stirbt, aber für das, was er Ihnen angetan hat, würde ihn kein Gericht zum Tode verurteilen.«
Sie murmelte Namaste , neigte aber nicht den Kopf vor der Lehrerin. Nachdem Barbara ihre Matte eingerollt hatte, eilte sie hinaus, mit geschmeidigen, gestreckten Muskeln und brodelndem Geist. Siebenundvierzig Tage. Ihnen blieben siebenundvierzig Tage, um bis zum Gouverneur vorzudringen und Strafmilderung zu beantragen. Siebenundvierzig Tage, um eine wackelige Geschichte einzureißen, die irgendwie die Jahre überdauert hatte, das brüchige Baumhaus eines Kindes, das längst verfallen sein sollte. Siebenundvierzig Tage, um Elizabeth Lerner etwas zu entlocken, von dem sie vielleicht nicht einmal wusste, dass sie es hatte. Sie war wie dieses Kind in einem Film, das mit Briefmarken für mehrere Millionen Dollar herumlief – Charade hieß er, wenn sie sich recht erinnerte –, während Erwachsene starben. Und wenn sie einen Hypnotiseur anheuern mussten oder irgendeinen anderen Fachmann? Barbara musste online gehen, sie musste einen Kaffee trinken, sie musste sehen, ob Jared Garrett ihre letzte Mail beantwortet hatte.
Kapitel 27
Trudy Tackett hasste das Wort privilegiert . Es war heikel, aufgeladen, ein weiterer wohlmeinender Begriff, der zu einer Beleidigung verdreht wurde. Es beschrieb eine Art Kuschelzone über den Schlachten des Alltags, in der man ein so exklusives Leben führte, dass man von diesen Schlachten nicht einmal etwas ahnte.
Gleichzeitig war sich Trudy immer bewusst gewesen, dass sie Glück hatte – mit ihrer Familie und ihrem Wohlstand. Sie sah, dass sie und Terry einer privilegierten Welt angehörten, in der es kaum Geldsorgen gab, nicht einmal als sie mit bis zu vier Studiengebühren rechnen mussten. Aber sie lebten weder extravagant noch protzig, vor allem nicht an den Maßstäben von Middleburg gemessen. Sie achtete auf Preisschilder. Manchmal. Und sie hatte ihr Glück nie als selbstverständlich betrachtet. Genau das erboste sie so. In ihren Gebeten dankte sie für all die guten Dinge in ihrem Leben. Selbst bei der Reihe von Fehlgeburten hatte sie nicht gegen Gott gewütet, hatte nicht gefragt: Warum ich? Nach Hollys Tod hatte sie bei der Kirche Kraft gesucht, hatte um den Mut gebetet, einen Sinn in allem zu erkennen. Pater Trahearne hatte ihr das Buch Hiob empfohlen. Was sich im Rückblick als Anfang von Trudys Ende als echter Katholikin erwies.
Sie hatte Geld nie benutzt und nie für Geld eine Sonderbehandlung erwartet. Vergünstigungen waren ihr sogar immer etwas peinlich gewesen, wenn sie zum Beispiel eher ins Flugzeug steigen durfte, weil sie erster Klasse flog. Das fand sie ein wenig taktlos. Aber dann stellte sich ihr ein Problem, das kein Geld der Welt lösten konnte, und ihre Ansichten änderten sich. Sie und Terry bezahlten den Prozess gegen Walter Bowman nicht und hatten deswegen relativ wenig dabei zu sagen. Nett waren natürlich alle. Damals kam – oder blühte? – gerade die Bewegung für mehr Opferschutz auf, es bildeten sich Gruppen wie »Mütter gegen Trunkenheit am Steuer« und »Eltern ermordeter Kinder«. Trudy bezweifelte nicht, dass vom stellvertretenden Sheriff, der Hollys Leiche gefunden hatte, bis zum kleinsten Angestellten der Staatsanwaltschaft jeder so viel Anteil nahm, als hätte er Holly gekannt. So wunderbar war ihre Tochter gewesen. Nicht einmal der Tod konnte ihre erstaunliche Ausstrahlung bezwingen. Dabei half es, dass die Tacketts früh mit der Technik gegangen waren und stundenlange Aufnahmen von Holly auf klobigen VHS -Kassetten besaßen. Während des Plädoyers war ein Zusammenschnitt gezeigt worden, und Walter Bowmans Anwalt hatte nur matt Einspruch eingelegt. Trudy glaubte, dass sogar er verstanden hatte, wie außergewöhnlich Holly war. Später hatte Jefferson Blanding, dieser neue, leider überaus kompetente Anwalt, argumentiert, die Videofilme seien nicht ordnungsgemäß als Beweise vorgelegt worden und hätten nur bei der Urteilsverkündung, aber nicht während der Verhandlung gezeigt werden dürfen. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, wenn Blanding von Anfang an Bowman vertreten hätte. Der
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