Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Lampe versehen, die kälteres Licht ausstrahlte. Bitte hör auf , betete sie. Ihr fiel ein Buch ein, in dem ein Junge dachte, Gott würde in der Küchenlampe wohnen, weil die Mutter immer mit einem Holzlöffel in der Hand zu ihr sprach. Sie war nicht der Typ, der vor Gott mit einem Holzlöffel herumfuchtelte oder etwas verlangte. Sie war nicht einmal sicher, ob sie an Gott glaubte, aber um diesen Gefallen musste sie ihn einfach bitten. Bitte mach, dass er mich in Ruhe lässt.
Kapitel 26
Barbara LaFortuny war ein kleines Wunder in dem Yogakurs, den sie zweimal pro Woche besuchte. Trotz ihres Alters stach sie mit ihrer mühelosen Gelenkigkeit und Kraft die jungen Mädchen mit ihren perfekteren Körpern und Outfits problemlos aus. Sie bildete sich sogar ein wenig darauf ein, dass sie bei den Übungen eine der Besten war, was dem Sinn des Ganzen wohl zuwiderlief, aber so war es nun einmal. Wenn man sich nicht die Wahrheit über sich selbst eingestehen konnte, vertrug man auch nicht die Wahrheit über andere Dinge, und eines wusste Barbara über sich: Sie war ehrgeizig. Sie wollte gewinnen.
Aber egal wie gut sie selbst schwere Posen halten konnte, versagte sie doch bei der grundlegendsten Aufgabe: ihren Verstand zur Ruhe kommen zu lassen. Im Moment ruhte sie in der Kindshaltung, so entspannt, wie man nur sein konnte – oder sollte –, und ihre Gedanken rasten, rasten, rasten, weit außerhalb dieses angenehm dämmrigen Studios in einer umgebauten Spinnerei.
»Verwöhnt euren Körper«, säuselte die Lehrerin. »Spürt nach, was er fühlt.«
Barbara versuchte es, aber sie fand nur das koffeingetriebene Rattern ihres Herzens. Den Kurs, der um neun Uhr morgens begann, nannte Barbara bei sich den Hausfrauen-und-Studentinnen-Kurs, denn wer sonst hatte jeden Dienstag und Donnerstag um diese Zeit frei? Theoretisch gehörte sie zur ersten Gruppe, aber so sah sie sich nicht. Nachdem sie um sechs Uhr aufgestanden war, hatte sie ihre Google-Alerts durchgesehen, ein gesundes Frühstück aus selbst gebackenem Vollkornbrot und Bio-Mandelbutter gegessen, die Printausgabe der Times und online die Lokalzeitung und das Wall Street Journal gelesen.
Barbara war nie besonders geduldig gewesen, und das hatte sich auch nicht dadurch geändert, dass sie beinahe gestorben wäre. Manchmal dachte sie, ihre Ungeduld und ihre barsche Art dummen Menschen gegenüber hätten zu dem Angriff beigetragen. Sie suchte nicht nach Entschuldigungen für den Jungen, eines der verkommensten Kinder, denen sie in ihren Jahren als Lehrerin je begegnet war. Der Junge war innerlich tot gewesen, mit mattem, leblosem Blick. Aber eine freundlichere, geduldigere Lehrerin hätte er vielleicht nicht angegriffen. Barbara hatte ihn vor seinen Freunden lächerlich gemacht. Hätte er sich in diesem Moment in einem Wutanfall auf sie gestürzt, hätte sie es fast verstehen können. Aber er hatte bei ihrem Auto auf sie gewartet, mit dem Messer in der Hand war er auf dem schlecht beleuchteten Parkplatz plötzlich vorgesprungen. Zum Glück war er als Angreifer genauso unfähig gewesen wie im Klassenzimmer, er hatte die stark blutende Wunde in ihrem Gesicht für eine tödliche Verletzung gehalten und sie einfach liegen lassen. Der Angriff hatte große Veränderungen in Barbaras Leben bewirkt – eine neue Aufgabe, ein Interesse für gesunde Ernährung und Aktivitäten, unerwarteten Wohlstand, durch den sie reiche Menschen nur noch mehr verachtete. Aber geduldiger hatte er sie nicht gemacht.
Walter besaß dagegen reichlich Geduld. Zu viel, dachte sie manchmal. Sie fragte sich, ob er durch das Gefängnis einen falschen Bezug zur Zeit gewonnen hatte, ob er wirklich nicht verstand, wie wenig ihnen blieb. Verwaltungsapparate bewegten sich so wendig wie Sattelschlepper, das wusste Barbara aus ihrer Zeit im öffentlichen Schulwesen. Sie brauchten Zeit und Platz, um das Steuer herumzureißen, und trotzdem blieb Walter so verdammt gelassen.
Sie hob das rechte Bein nach hinten, streckte es, um sich in die Taubenhaltung zu bringen, und spürte mit leiser Genugtuung, wie offen ihre Hüften waren. Einige der dünneren Frauen im Kurs liefen fast grün an.
Vielleicht wollte Walter alles bis zum letzten Moment hinauszögern, um es schön dramatisch zu machen, aber das war wirklich hirnverbrannt. Bei ihrem letzten Gespräch hatte sie ihm das auch gesagt: Kein großes Drama, Walter. Das erregt zu viel Aufmerksamkeit, dann läuft sie nur weg. Sie ist ein verschrecktes Mäuschen.
Über
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