Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
nicht«, sagte Walter. »Ich meine, ich will ja nichts sagen …« Sie wappnete sich gegen die Beleidigung, die darauf unweigerlich folgen würde. »… aber du mochtest Kinder nicht mal. Du hast mir ständig Kinder gezeigt und gesagt: ›Die sind aber dreckig‹, und dich über schreiende Babys beschwert.«
»Wirklich?« Sie war fünfzehn gewesen. Sie wusste nicht mehr, wie sie über Kinder gedacht hatte, aber sie hatte sich auch keine Gedanken über eine Karriere gemacht. Sie wollte einfach nur erwachsen werden. Was für sie bedeutete, eine Art Madonna zu sein, mit einer Freundin in einer abgefahrenen Wohnung mit einem Telefon zu leben, das überzogen war mit Muscheln und rosa Plüsch, und genug Geld für den Pizzadienst zu haben, wenn auch nicht für viel mehr. Später im College grauste es ihr vor der Frage: »Was ist dein Hauptfach?« Nicht weil sie so abgedroschen war, sondern weil Eliza sie erst im dritten Studienjahr beantworten konnte, als sie Kinderliteratur mit Hinblick auf einen Job als Bibliothekarin studierte. Selbst das war noch keine Entscheidung für einen Beruf. Es zog sie zur Kinderliteratur, weil sie damit eine Ausrede hatte, noch einmal die alten Märchen und ihre liebsten Jugendbücher zu lesen: Merkwürdiges aus dem Frankweiler-Geheimarchiv und Are You There God? It’s Me, Margaret . Aber die Arbeit fachte ihren Geist an, wie sie es nie zuvor erlebt hatte – und auch später nicht mehr erlebte. Sie fing in Houston mit dem Master-Studium an, hörte aber auf, als sie mit Iso schwanger wurde.
»Niemand mag Kinder, wenn er selbst noch eines ist«, bemerkte sie spitz.
»Weißt du noch, wie wir in den Luray Caverns waren?«
»Ja.« Dabei ließ sich die Frage gar nicht so schlicht beantworten. Ihre Zeit mit Walter existierte in einem entlegenen Winkel ihres Hirns, der weder Erinnern noch Vergessen war. Sie kam Eliza wie die Geschichte einer anderen vor, die so oft und so detailliert erzählt wurde, dass sie sie herunterrasseln konnte. Sie war die drei kleinen Schweinchen, der Hirtenjunge und der Wolf, Rotkäppchen, eines dieser grausigen Grimm’schen Märchen voll schauriger Details – einstürzende Häuser, Tiere, die gefressen wurden, Rotkäppchen und Großmutter, die aus dem aufgeschlitzten Bauch des Wolfs klettern –, die man nur durch den glücklichen Ausgang verkraften konnte.
»Ich wollte dich an diesem Tag dort lassen.«
»Das stimmt nicht.«
»Ich habe daran gedacht. Da war eine Gruppe von Schülern, ein paar Jahre jünger als du, ziemlich laut und chaotisch, und ich dachte, ich gehe ein paar Schritte zurück und wenn sie mit den Kindern redet und abgelenkt ist, renne ich zum Parkplatz und fahre weg.«
Sie weinte, so still wie möglich, damit er es nicht merkte. »Das glaube ich dir nicht.«
»Verständlich. Es klingt bestimmt wie eine Schutzbehauptung. Weißt du, es war so dumm, dich zu entführen. Hätte ich einen Moment nachdenken können, wäre mir klar geworden, dass du nichts gewusst hast, dass du mir nicht schaden konntest. Ich dachte: Ich muss sie töten. Sie ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber – hör mal, egal was du von mir hältst, egal was das Gesetz über Vorsatz und Mord ersten Grades sagt: Ich hatte nie vor, jemanden zu töten. Es ist passiert, ja, aber da war ich, wie soll ich sagen, nicht bei mir. Ich konnte mich nachher nicht einmal richtig daran erinnern.«
»Walter, darüber kann ich mit dir nicht reden.«
»Es tut mir leid, ich will nur erklären, warum ich dir nicht wehtun konnte.«
»Du hast mir nicht einfach wehgetan. Du hast mich vergewaltigt. Das wäre schrecklich genug gewesen, in jeder Situation, aber ich musste nicht nur die Vergewaltigung durchleiden, ich musste dabei auch noch davon ausgehen, dass du mich nachher umbringst, genau wie Maude.«
»Ich habe dir nie gesagt, was ich getan habe.«
»Ich habe dich an einem Grab gesehen. Mir war klar, was passiert war. Und dann Holly …«
Er seufzte, als fühlte er sich ganz und gar missverstanden. »Ich habe Holly nicht getötet. Und das weißt du. Du hast es immer gewusst, aber man hat es dir ausgeredet, hat dir weisgemacht, das könne gar nicht anders sein.«
»Hör auf.«
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufregen, Elizabeth. Aber wenn wir nicht ehrlich über diese Nacht reden können …«
»Ich habe nichts gesehen. Ich war nicht da. «
Lange Pause. »Es tut mir leid. Die Sache nimmt dich mit, und das wollte ich auf keinen Fall. Wirklich nicht. Wo waren wir gerade? Wir haben
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