Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
nie gesehen. Barbara LaFortuny gab es vielleicht nicht zu, aber die Ablehnung der Todesstrafe war nicht ihr einziges Motiv.
Trotzdem schien nach mehreren Mails klar zu werden, dass sie wirklich etwas zu bieten hatte. Er nahm bei der Arbeit einen Krankheitstag; das gehörte schließlich zu den letzten Vergünstigungen, die ihm blieben, und er sollte wohl kaum dafür bestraft werden, dass er gesund war. Wenn er seine Krankheitstage nicht nahm, kürzte er sich sozusagen selbst den Lohn. Aber die erste Tageshälfte mit der Rundfahrt zu Orten, die er sich schon vor langer Zeit allein angesehen hatte, war eine Riesenenttäuschung, und spätestens als die Frau einen großen Park ansteuerte, kam er sich etwas veralbert vor.
»Mit dieser Gegend hat man Walter Bowman nie in Verbindung gebracht«, sagte er. Er dachte an seine akribisch bearbeitete Landkarte, für die er jeden Vermisstenfall untersucht hatte. Die Krimi-Blogger, die den Bowman-Fall verfolgten, deckten die ganze Palette ab, von vehementen Verteidigern, die selbst die beiden offensichtlichen Morde abstritten, bis zu denen, die ihm praktisch jede zwischen 1980 und 1985 vermisste Teenagerin zuschrieben. Jared gehörte der gemäßigteren Fraktion an; er glaubte, man könnte Walter mit mindestens vier ungeklärten Morden und vier Vermisstenfällen im Osten des Landes in Verbindung bringen. Er rechnete mit einer eigenen Formel aus Entfernung, Gelegenheit und Opfer. Entfernung: Walter Bowman hatte sich in seinem ganzen Leben nie weiter als fünfhundert Kilometer von seinem Zuhause entfernt, und laut Elizabeth Lerners Aussage war er scheinbar um einen gedachten Fixpunkt gekreist, immer durch Virginia, Maryland und West Virginia. Gelegenheit: Er hatte stets nur einzelne Tage frei gehabt, und vor dem Mord an Maude Parrish war er jede Nacht zu Hause gewesen. Schließlich die Opfer: Beide waren jung, noch keine sechzehn, und absolut unerfahren, deswegen war es verfehlt, beliebige Morde an Huren auf die Liste zu setzen. Huren passten nicht in Walter Bowmans Muster.
Elizabeth Lerner allerdings auch nicht, nicht dem Aussehen nach.
Als Barbara in diesen Vorstadtpark fuhr, wusste er jedenfalls, dass keine Verbindung zu Bowman bestand, und wurde allmählich etwas sauer, dass er so an der Nase herumgeführt wurde. Um halb sieben würde er schon wieder im Zug sitzen, und das wegen Barbara LaFortuny. Sie hatte Theaterkarten oder Ähnliches. Das hatte sie beim Mittagessen in diesem Veganerladen erzählt, dem Roots, von dem Jared nicht gerade begeistert war.
»Ihnen scheint es ja ziemlich gut zu gehen«, sagte er, um seine Enttäuschung über die Speisekarte zu überspielen.
»Das stimmt«, antwortete sie. »Der Überfall war das Beste, was mir je passiert ist. Nicht, weil ich seitdem nicht mehr arbeiten muss, sondern, weil er mir gezeigt hat, wie leer und zwecklos mein Leben ist, und das allein durch meine Schuld.«
Er holte sein Diktiergerät heraus, vor allem aus Höflichkeit, und ließ sie über ihr Leben schwafeln. Vielleicht war das schon alles, was sie zu bieten hatte, dachte er. Vielleicht hielt sie das hier für das große Geschenk: die Geschichte von Walter Bowman, erzählt aus der Sicht seiner eifrigsten Anhängerin. Nur hatte sie ihm rein gar nichts über Walter erzählt, was er nicht schon wusste, und wie sie darauf beharrte, Walter habe sich geändert – das kaufte er ihr einfach nicht ab. Barbara LaFortuny wäre ohne eigenes Verschulden beinahe gestorben. Sie sollte eigentlich verstehen, dass Walter ein solches Erwachen erst erleben konnte, wenn er auf der Liege festgeschnallt wurde. Und selbst dann, selbst wenn irgendein Wunder geschehen und er nicht sterben sollte, würde er sich wahrscheinlich nicht ändern.
Ein spannendes Detail sprach sie beim Mittagessen allerdings doch an. »Über die Autopsien wissen Sie Bescheid, oder? Über das, was gefehlt hat?«
»Was gefehlt … ach, ja. Darüber habe ich geschrieben. Ich dachte, Sie hätten mein Buch gelesen.«
»Das habe ich. Ich wollte Sie nur daran erinnern.«
»Das ändert nichts, nicht in Holly Tacketts Fall.«
»Nein, das ist richtig. Wenn man der Aussage von Elizabeth Lerner glaubt. Und Sie scheinen als Einziger bereit zu sein, an ihr zu zweifeln.«
»Ich habe nur ein paar Fragen aufgeworfen. Jeder Mörder geht nach einem Muster vor. Elizabeth Lerner durchbricht dieses Muster in beinahe jeder Hinsicht. Sie findet ihn, nicht er sie. Er entführt sie, es kommt mehrere Wochen lang nicht zu Sex, wenn man ihr
Weitere Kostenlose Bücher