Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
doch gar nicht erst einschalten müssen.«
»Ich brauchte Harriets Schlüssel. Als ich Harriet und Beth absetzte, behielt ich Harriets Rucksack bei mir. Und ich musste Harriet vor Schulbeginn abholen, weil die Schule sie mir niemals herausgegeben hätte, wenn sie erst einmal drin gewesen wäre. Auf Anweisung von Laura – den Rat hatte sie vom
Frauenhaus«, fügte Novak hinzu. Wut und Verbitterung verzerrten seine Züge.
Kincaid stand auf und ging ein paar Schritte auf und ab. Das enge, stickige Zimmer, in dem es nach Schweiß und Alkohol roch, machte ihn ganz nervös. »Wo haben Sie die zwei abgesetzt?«, fragte er, um Novak nicht vom Thema abschweifen zu lassen.
»Wir haben uns zuerst ein bisschen unterhalten. Ich sagte Harriet, dass ich eine Überraschung für sie hätte, etwas ganz Besonderes, aber zuerst würde Beth noch mit ihr einkaufen gehen. Dann ließ ich sie am Bahnhof London Bridge aussteigen und sagte, ich würde Harriet dort in drei Stunden wieder abholen. Ich wollte schon über den Kanal sein, ehe Laura merkte, dass Harriet nicht von der Schule heimgekommen war.«
»Sie sind nicht auf die Idee gekommen, dass Harriet etwas dagegen haben könnte, von ihrer gewohnten Umgebung und ihrer Mutter getrennt zu werden?«, fragte Gemma scharf. Es war das erste Mal, dass sie ihn ihre Missbilligung spüren ließ.
Novak rieb sich wieder das Gesicht und wich ihrem Blick aus. »Harriet liebt mich«, sagte er. »Nach unseren gemeinsamen Wochenenden würde sie immer am liebsten bei mir bleiben, und ich weiß, dass sie Angst hatte, Laura könnte versuchen, uns zu trennen. Ich dachte … Ich dachte, ich würde ihr alles erklären, wenn wir England erst einmal hinter uns gelassen hätten … Ich hätte ihr gesagt, sie solle es einfach mal ausprobieren. Wenn es ihr nach ein paar Wochen immer noch nicht gefallen hätte, hätte sie wieder zurückgehen können. Und ich hatte auch fest vor, Laura gleich nach unserer Ankunft wissen zu lassen, dass Harriet wohlauf ist.«
»Trotzdem – es ist unverzeihlich, ein Kind seiner Mutter zu entreißen …«
»Was gibt Müttern eigentlich diese Sonderrechte?«, brauste Novak auf. »Was würden Sie denn tun, wenn jemand Ihnen Ihr Kind wegnehmen würde? Wie würde es Ihnen da gehen?«
Kincaid sah, wie Gemma ihn mit großen Augen anblickte, und er wusste, dass sie in diesem Moment beide an Kit dachten.
»Mr. Novak«, sagte sie, »wie kommen Sie darauf, dass Ihre Frau so wild entschlossen war, Sie und Harriet zu trennen? Gibt es da etwas, was Sie uns noch nicht gesagt haben?«
»Was denn?« Er funkelte sie wütend an. »Sie glauben, ich misshandle mein Kind? Wollen Sie das damit andeuten?«
»Nein. Ich …«
»Dann können Sie mich mal gern haben!« Er erhob sich halb aus seinem Sessel, die Hände zu Fäusten geballt. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich liebe meine Tochter. Ich habe nie irgendetwas Schlimmeres getan, als sie nach einem unserer gemeinsamen Wochenenden vielleicht mal ein paar Minuten zu spät zurückzubringen.« Er sank wieder auf den Sitz zurück, das Gesicht verzerrt, presste er die Knöchel fest auf die zitternden Lippen. »O Gott. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Harriet etwas zugestoßen wäre.«
»Warum haben Sie dann …«
»Laura ist eifersüchtig. Das ist die Wahrheit. Sie ist immer schon eifersüchtig gewesen, weil Harriet mich lieber gemocht hat als sie. Als sie dahinter kam, dass ich mich mit anderen Frauen treffe, war das für sie nur ein willkommener Anlass, die Scheidung einzureichen, weil sie nie die Wahrheit akzeptieren konnte – nicht einmal sich selbst gegenüber.«
Kincaids erste Reaktion war, Tony Novaks Ausführungen als Selbstrechtfertigung einzustufen, als bittere Nachwirkungen einer gescheiterten Beziehung. Doch dann musste er an Kath Warrens taktvoll ausgedrückte Abneigung gegen Laura Novak denken und an das ebenfalls nicht sehr schmeichelhafte Bild, das ihre Nachbarin von ihr gezeichnet hatte. Aber auch wenn Novaks Einschätzung zutreffend war – verriet ihnen das irgendetwas über Harriets Schicksal?
»Mr. Novak«, sagte er, »wenn Ihre Exfrau geplant hätte, mit
Harriet unterzutauchen, glauben Sie nicht, dass Harriet Ihnen davon erzählt hätte?«
»Laura kann sehr … grob sein, wenn sie glaubt, dass Harriet sich ihren Anweisungen widersetzt hat. Vielleicht hätte Harriet sich nicht getraut, mir etwas zu sagen.«
»Und sie hat nichts erwähnt, als Sie sie am Freitagmorgen abholten?«
»Nein. Aber ich habe ihr auch keine
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