Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
dem Stuhl stand ein Paar Schuhe, einer davon lag auf der Seite. Es gab keine Anzeichen dafür, dass hier gepackt worden oder dass irgendetwas aus dem Zimmer oder aus dem Kleiderschrank entfernt worden war.
Auf einer weiß gestrichenen Kommode lagen ein paar Kosmetikartikel und eine Haarbürste, und hier stand auch ein Schwarzweißfoto in einem Silberrahmen, das ein kleines Mädchen von zwei oder drei Jahren mit dunklen Locken zeigte. Harriet – oder Laura selbst?
Gemma griff mit der behandschuhten Hand nach der Bürste und sah, dass einige Haare zwischen den Borsten steckten. »Doug …«
»Augenblick.« Er öffnete einen der mitgebrachten Plastikbeutel und nahm ihr die Bürste ab.
Gemma erinnerte sich, wie oft sie und ihre Schwester am Frisiertisch ihrer Mutter gesessen und ihre Bürste benutzt oder ihren Lippenstift ausprobiert hatten. »Wir können nicht ausschließen, dass auch Harriets Haare in der Bürste sind«, sagte sie.
Mit einer Pinzette zupfte Doug die dunklen, krausen Haare vorsichtig heraus und steckte sie in den Beutel. »Die Übereinstimmung dürfte trotzdem groß genug sein.«
Gemma ließ ihn allein weitermachen, um einen kurzen Blick ins Bad zu werfen. Handtücher hingen über dem Handtuchwärmer, auf dem Badewannenrand drängten sich Shampoos und Schaumbäder, und auf dem Waschbecken stand ein Keramikbecher mit zwei Zahnbürsten.
Sie ging weiter in das hintere Schlafzimmer, das ebenso eindeutig als Harriets zu identifizieren war. Auf dem etwas schlampig gemachten Bett lag eine marineblaue Decke mit goldenen Sternen, und eine Reihe knallbunter Plastikkisten unter dem Fenster war mit Büchern und Bastelarbeiten voll
gestopft. Die Pinnwand über dem Schreibtisch war übersät mit Zeichnungen und aus Magazinen ausgeschnittenen Fotos von Popsängern und Filmstars.
Eine der Türen des Kleiderschranks neben dem Schreibtisch stand halb offen, und ein Pullover und eine ausgefranste Jeans hingen halb heraus. Gemma machte die Türen ganz auf und durchsuchte die Schrankschubladen. Sie waren randvoll mit T-Shirts, Unterhosen und nicht zueinander passenden Socken – nichts Unerwartetes, alles erschütternd normal und gewöhnlich.
Sie hörte Schritte und drehte sich um. Doug kam ins Zimmer und sagte: »Ich war oben im Dachgeschoss. Da gibt’s noch eine Rumpelkammer und ein Arbeitszimmer. Unsere schlauen Experten werden sich den Computer noch vornehmen müssen, aber das hier habe ich unter der Schreibunterlage gefunden.« Er drückte ihr einen aus einem Notizblock herausgerissenen Zettel in die Hand. Es war eine Liste von Frauennamen, geschrieben mit blauer Tinte in einer gestochen scharfen, festen Handschrift.
Mary Talbot. Amy Lloyd. Tanika Makuba. Clover Howes. Ciara Donnelly. Debbie Rufey.
Die ersten drei Namen sowie der letzte waren abgehakt, doch hinter dem vierten und dem fünften waren mit Bleistift winzige Fragezeichen gemalt.
»Das könnte alles Mögliche sein«, meinte Gemma. »Eine Einladungsliste für eine Geburtstagsparty oder einen Schulausflug. Eine Arbeitsgruppe …« Sie zog ihr Notizbuch aus der Tasche und schrieb die Namen ab, dann sah sie Doug an. »Aber der Zettel hat unter der Schreibunterlage gesteckt?«
»Ja, es hat nur eine Ecke herausgeschaut. Sonst war nichts auf dem Schreibtisch, was auf den ersten Blick interessant gewesen wäre; nur die üblichen Rechnungen und Papiere, wie man sie in jedem Haushalt findet, und stapelweise Broschüren von allen möglichen wohltätigen Initiativen, überwiegend lokale
Projekte – Suppenküche für Obdachlose in St. John’s Waterloo, die Food-Bank -Lebensmittelhilfe, Beratung für Opfer familiärer Gewalt … Ach ja, und die Schublade mit den persönlichen Dokumenten stand halb offen. Scheint Novaks Geschichte zu bestätigen.«
Gemmas Handy klingelte. Obwohl es in ihrer Tasche steckte, wirkte das Geräusch in dem leeren Haus ungewöhnlich laut. Ihr erster Gedanke war, dass die Jungen sie zu Hause brauchten, und ihr schlechtes Gewissen wollte sich schon melden, als ein Blick auf das Display ihr verriet, dass es Kincaid war.
Als sie das Gespräch annahm, sagte er ohne jede Vorrede: »Ich hatte gerade einen Anruf von Konnie Mueller.«
Gemma merkte, wie ihre letzten Zweifel sich zerstreuten, sodass nur noch die harte, unerbittliche Gewissheit zurückblieb – und dazu ein Anflug von Trauer um eine Frau, die sie nie kennen lernen würde. »Es ist nicht Chloe Yarwood, habe ich Recht?«
»Woher weißt du das?«
Sie dachte an das
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