Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
habe das Handy immer dabei.«
Ihr Haar war wirr vom Schlafen, ihre Haut noch frei von dem dezenten Make-up, das sie tagsüber trug. Mit dem Daumen strich er sanft über die leichten Sommersprossen auf ihrer Wange. Sie schmiegte ihr Gesicht in seine Hand. Die zärtliche Geste bewegte ihn dazu auszusprechen, was er seit Wochen mit sich herumtrug. »Gemma, bist du dir sicher, dass du das Babyzimmer aufgeben willst? Ich finde, wir sollten noch einmal darüber …«
»Wir können Kit jetzt nicht so enttäuschen. Das weißt du auch.« Sie trat einen Schritt zurück, und ihr eben noch verträumter Gesichtsausdruck wich einem betont fröhlichen Lächeln. Er hatte sich auf verbotenes Gelände gewagt, und sie hatte sich sofort in sich zurückgezogen. »Jetzt geh«, fügte sie forsch hinzu, »sonst kommst du noch zu spät.«
Sie hatte natürlich Recht, gestand er sich wenige Minuten später ein, als er die Lansdowne Road entlang zur U-Bahn-Station Holland Park ging. Kits Wohl stand im Moment im Vordergrund, aber das anzuerkennen machte es ihm auch nicht leichter, mit Gemmas abweisendem Verhalten zurechtzukommen, wie auch mit der Erkenntnis, dass sie – ob bewusst oder unbewusst – Kits Situation als Ausrede benutzte, um jedem Gespräch über ihre Fehlgeburt und die Möglichkeit, noch ein Kind zu bekommen, rigoros auszuweichen.
Und als ob das noch nicht schlimm genug gewesen wäre, war er auch mit dem Versuch gescheitert, Kit dazu zu bewegen, über seine Gefühle angesichts der für Montag anstehenden Anhörung zu sprechen. Als Kincaid am Abend zuvor kurz vor zehn nach Hause gekommen war, hatte er Gemma im Wohnzimmer am Klavier angetroffen, wo sie für ihre Stunde am Samstagnachmittag geübt hatte. Sie arbeitete zurzeit an einem einfachen Bach-Stück, und obwohl ihr nicht viel Zeit zum Spielen blieb, konnte er hören, dass sie Fortschritte machte. Ihr Tempo war noch ein wenig langsam, aber ihre Finger bewegten sich leicht und sicher über die Tasten.
Sie hatte ihr Spiel unterbrochen und lächelnd zu ihm aufgeblickt, doch er hatte ihr bedeutet weiterzumachen. »Lass dich nicht stören. Ich geh noch mal kurz nach den Jungs schauen.«
Er war die Treppe hinaufgegangen, während die Hunde, die ihn pflichtschuldig an der Haustür in Empfang genommen hatten, auf ihren Lieblingsplatz am oberen Treppenabsatz zurückgekehrt waren. Diese Strategie hatten sie entwickelt, um mit dem Loyalitätskonflikt fertig zu werden, der sich ergab,
wenn sich die zweibeinigen Familienmitglieder auf Unterund Obergeschoss verteilten. Ihr Kater Sid dagegen verfuhr nach dem Prinzip »Man muss nur warten können, dann ergibt sich alles von selbst« und hatte sich vermutlich bereits am Fußende von Gemmas und Duncans Bett zusammengerollt.
Zuerst hatte er bei Toby vorbeigeschaut, der jetzt allein in dem Zimmer schlief, das er bis vor wenigen Wochen mit Kit geteilt hatte. Der Fünfjährige lag auf dem Bauch, Arme und Beine von sich gestreckt, die Decke zurückgestrampelt, sodass sein mit Loks und Eisenbahnwaggons bedruckter Schlafanzug zu sehen war. Der Teddybär war sogar schon auf dem Boden gelandet. Behutsam legte Kincaid Toby sein Kuscheltier in den Arm und deckte ihn zu, doch Tobys ein wenig keuchender Atem ging noch so regelmäßig wie zuvor.
Kincaid ging eine Tür weiter zu dem Zimmer, das für das Baby vorgesehen gewesen war. Als er auf sein leises Klopfen keine Antwort bekam, öffnete er die Tür und schaute hinein. Kit saß über ein Blatt Papier gebeugt an seinem Schreibtisch und zeichnete. Die Kopfhörer auf seinen Ohren erklärten das Ausbleiben einer Reaktion – Kincaid konnte das gedämpfte, wummernde Dudeln von Kits tragbarem CD-Player durch das ganze Zimmer hören.
Er klopfte noch einmal etwas lauter an die Tür und rief: »He, Sportsfreund!«
Kit fuhr erschrocken herum und riss sich den Kopfhörer herunter. »Sorry. Hab dich nicht gehört.«
»Kein Wunder.« Kincaid dachte daran, wie oft seine Mutter den Jungen bereits gewarnt hatte, dass er auf Dauer sein Gehör schädigen würde, und enthielt sich weiterer Kommentare zur Lautstärke von Kits Musik. »Was hörst du denn da?«, fragte er stattdessen und setzte sich auf die Bettkante. Tess, Kits Terrier, war ihm gefolgt und sprang nun auf den Platz neben ihm.
»Die Mighty Diamonds.« Kincaid musste völlig verständnislos dreingeschaut haben, da Kit in diesem Du-hast-aber-vonnichts-eine-Ahnung-
Ton, der sich in letzter Zeit immer häufiger in seine Stimme einschlich, hinzufügte:
Weitere Kostenlose Bücher