Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
»Klassischer Achtziger-Jahre-Reggae.«
»Ach so. In den Achtzigern habe ich eigentlich eher Police gehört.«
»Aber Police war ja auch von Reggae beeinflusst, vor allem von Bob Marley«, erklärte ihm Kit voller Ernst, und Kincaid beglückwünschte sich zu seinem Zufallstreffer. Er rechnete damit, dass es ihm zunehmend schwerer fallen würde, überhaupt noch mitzureden, aber er wollte es wenigstens versuchen.
»Hast du dir die CD von Wesley geliehen?«
»Er hatte nichts dagegen.« Kit klang fast, als ob er sich angegriffen fühlte. »Ich hab sie auch nicht zerkratzt oder so.«
»Nein, das hast du bestimmt nicht. Du passt sehr gut auf deine Sachen auf«, versicherte Kincaid ihm, wobei er sich überlegte, dass er Wes irgendwann mal unauffällig um einen Crashkurs in Reggae bitten müsste. Inzwischen zog er es vor, auf ein Thema auszuweichen, mit dem er weniger Probleme hatte. Er warf einen Blick auf den Bogen Papier auf Kits Schreibtisch. »Machst du wieder zoologische Skizzen?«
Kit hielt ihm eine Zeichnung einer Schildkröte hin, die er aus dem Biologiebuch kopiert hatte, das aufgeschlagen neben dem Zeichenblock lag. »Eine Galapagosschildkröte.« Der neueste Held des Jungen war Dr. Stephen Maturin, der Arzt, Naturforscher und Geheimagent aus den Master-and-Commander -Romanen von Patrick O’Brian, und zeichnen zu lernen war sein jüngstes, mit Eifer betriebenes Projekt.
»Wow, das ist ja super!«, rief Kincaid, und die ehrliche Bewunderung in seinem Ton entlockte Kit ein Lächeln.
»Ich könnte ein paar bessere Aquarellfarben gebrauchen. An der Portobello Road gibt’s einen Laden für Künstlerbedarf, ganz in der Nähe von Ottos Café. Ich dachte mir, vielleicht kann ich mir da morgen welche kaufen.«
»Apropos, wegen morgen – ich kann leider nicht zu unserem
Einkaufsbummel mitkommen. Es ist etwas dazwischengekommen …«
»Weiß schon. Gemma hat’s mir gesagt.« Kits Miene war gleichgültig, reserviert.
»Es tut mir Leid. Ich wollte …« »Mach dir deswegen keinen Kopf.« Kit zuckte mit den Achseln und drehte sich wieder zum Schreibtisch um. »Ist ja nicht so wichtig.«
Die Absolution traf Kincaid bis ins Mark.
Als Kincaid in der Leichenhalle des Hospitals ankam, waren Farrell, Cullen und Bell schon da, und er vermutete, dass zumindest Cullen eine klammheimliche Befriedigung darüber empfand, seinem Chef in diesem Fall den Rang abgelaufen zu haben.
Er setzte sich zu ihnen auf die Zuschauergalerie des Sektionssaals, und zusammen blickten sie auf Kate Ling, ihren Assistenten und die groteske, verkohlte Gestalt auf dem Stahltisch hinunter. Der Geruch ließ Kincaid wünschen, er hätte auf das Frühstück ganz verzichtet, auch wenn es nur aus einem Stück Toast mit Speck bestanden hatte.
Dr. Ling und der Pathologieassistent trugen lange grüne Plastikschürzen über ihrer OP-Kleidung und erinnerten ihn von hinten an Revolverhelden in ledernen Reithosen. Vielleicht hatte es etwas mit der Art zu tun, wie sie dastanden – breitbeinig und selbstbewusst; bereit, es mit dem Sensenmann höchstpersönlich aufzunehmen.
Kate Ling drehte sich um und lächelte, als sie ihn entdeckte, was er wegen der Maske nur an den Fältchen um ihre Augen ablesen konnte. Sie schaltete ihr Mikrofon, in das sie ihren Bericht sprach, aus. »Duncan, ich habe gerade Ihren Kollegen hier erklärt, dass wir mit der vorläufigen Untersuchung fertig sind. Wie Sie sicher alle wissen, können wir allein durch Messungen und Röntgenaufnahmen eine ganze Menge herausfinden,
selbst wenn der Leichnam sehr stark beschädigt ist.« Sie deutete auf die Stirnwand des Saales, wo eine Reihe von Röntgenfilmen an Leuchtkästen hingen. »Diese Untersuchungen verraten uns, dass unser Opfer eine erwachsene Frau war, von mittlerer Größe – wahrscheinlich zwischen eins fünfundsechzig und eins siebzig. Die Einwirkung des Feuers kann zwar Knochen schrumpfen lassen, aber in diesem Fall war die Hitze meines Erachtens nicht so extrem.«
»Könnten Sie den Begriff ›erwachsen‹ vielleicht etwas genauer fassen, Doc?«, fragte Kincaid.
»Auf jeden Fall postadoleszent. Bei weiblichen Personen schließt sich die untere Epiphysenfuge des Speichenknochens – Epiphysen nennt man die knorpeligen Enden der langen Röhrenknochen – in der Regel vor dem zwanzigsten Lebensjahr. Kurz darauf schließt sich auch die obere Epiphysenfuge im Unterarm, wie im vorliegenden Fall.
Das Schlüsselbein sollte uns den nächsten Hinweis liefern, da sein Wachstum
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