Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
gebracht. Sie müssen wissen, dass diese Frauen selbst unter den günstigsten Umständen immer am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen, und jeder, der in ihren persönlichen Raum eindringt, wird als Bedrohung empfunden. Es ist meine Schuld – das hätte mir klar sein müssen.«
Die forsche Souveränität, die sie am Vortag ausgestrahlt hatte, schien ein wenig gelitten zu haben, und ihr sorgfältig aufgetragenes Make-up konnte die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht ganz kaschieren.
»Ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte«, erwiderte er. »Wir hätten hier nicht wie bei einer Invasion einfallen sollen.«
Kath Warren lächelte und schien ein wenig aufzutauen. »Ich sag’s Ihnen, hier schwirren die Verschwörungstheorien durch die Luft wie Grippeviren. Zuerst hieß es, irgendein Ehemann hätte das Feuer gelegt, damit das Haus evakuiert wird und die Frauen rauskommen müssen. Und jetzt ist von irgendeinem Plan zur Unterwanderung der Polizei die Rede, aber so ganz habe ich das nicht verstanden.«
»Wissen die Ehemänner der Frauen, wo sie sind?«, fragte Kincaid interessiert.
»Nein – zumindest hoffen wir das. Wir hängen das, was wir hier tun, nicht an die große Glocke, aber die Frauen verlassen tagsüber das Haus; sie sind ja keine Gefangenen. Da besteht immer die Gefahr, dass irgendwas schief geht, entweder, weil eine Frau gesehen wird, oder – und das ist, wie ich leider zugeben muss, die wahrscheinlichere Variante – weil eine der Bewohnerinnen in einem schwachen Moment die Adresse ausplaudert. Es ist kein perfektes System, aber wir tun, was wir können.«
»Sie halten die Evakuierungstheorie für unglaubwürdig?«
Kath zuckte mit den Achseln. »Möglich wäre es. Aber warum hätte der Täter das Feuer dann nicht gleich in diesem Gebäude gelegt? Der vordere Teil steht leer, und ich kann mir vorstellen, dass es kein großes Problem wäre, da einzubrechen.«
»Könnte einer dieser Männer so verzweifelt sein, dass er seine eigenen Kinder gefährden würde?«
Kincaids Stimme musste seine Skepsis verraten haben, denn Kath Warren entgegnete scharf: »Diese Männer sind brutale Schläger. Viele von ihnen verprügeln nicht nur ihre Frauen oder Partnerinnen, sondern auch ihre Kinder. Und sie sind sehr geschickt, wenn es darum geht, ihre Taten zu rechtfertigen, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber.«
Sie hatte Recht, das war Kincaid klar, und zwar auch, was das Sicherheitsrisiko betraf, das durch die leer stehende vordere Haushälfte entstand. Mit Unbehagen dachte er an Rose Kearnys hypothetischen Brandstifter. Dieses Gebäude würde ein perfektes Angriffsziel abgeben; und er fragte sich, wie schnell die im Frauenhaus wohnenden Familien im Brandfall evakuiert werden könnten. Er würde Bill Farrell darauf ansprechen, wenn er ihm Roses Papiere übergab.
»Es ist natürlich nicht nur das Feuer«, fuhr Kath fort, »sondern auch der Tod dieser Frau. Der hat alle hier erschüttert. Ich nehme an, Sie wissen noch immer nicht, wer sie war?«
»Bis jetzt haben wir noch keine konkreten Hinweise.« Kincaid
zog eine Kopie des Fotos aus der Tasche. »Aber eine Überwachungskamera hat diese Frau hier gefilmt, als sie rund zwei Stunden vor Ausbruch des Feuers das Gebäude betrat. Deswegen bin ich hier. Kennen Sie sie?«
Sie nahm das Blatt und betrachtete es eingehend, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nein, tut mir Leid. Ich glaube nicht, dass ich sie schon einmal gesehen habe.«
»Sie hat nicht vielleicht früher einmal hier gewohnt?«
»Nein. Nicht, seit ich hier arbeite, und das sind jetzt fünf Jahre.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich das Foto mal Ihren Bewohnerinnen und Ihrem Mitarbeiter zeige? Vielleicht kommt sie ja irgendjemandem bekannt vor.«
»Jason ist heute nicht im Haus, aber ich lasse es gerne unter den Frauen herum…«
Kath stand so, dass sie die Eingangstür im Blick hatte, und plötzlich sah Kincaid, wie ihre Augen sich vor Überraschung weiteten. Er fuhr herum, und im gleichen Moment schob sich ein groß gewachsener Mann unsanft an ihm vorbei und packte Warren an den Schultern.
»He!«, rief Kincaid. »Was fällt Ihnen ein? Lassen Sie sie …« Er verstummte, als Kath abwehrend die Hand hob.
»Wo ist meine Frau?«, schrie der Mann Kath Warren an und schüttelte sie.
Ehe Kincaid eingreifen konnte, erwiderte Kath: »Tony, was haben Sie denn? Was ist passiert?« Da sie eher besorgt als verängstigt aussah, hielt Kincaid sich zurück und beschloss abzuwarten,
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