Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
haben, und nach der gleichen Logik könnte jemand anders hineingegangen sein.«
»Aber was hätte Elaine in diesem Lagerhaus tun sollen?«
»Wissen Sie zufällig, ob Ms. Holland Michael Yarwood persönlich kennt?«, fragte er zurück.
»Den Abgeordneten?« Fanny schien verblüfft. »Nein. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das Lagerhaus, in dem die Leiche gefunden wurde, gehört Yarwood. Es wurde gerade zu Luxusapartments umgebaut. Wenn Elaine Holland Yarwood kennt, wäre es denkbar, dass sie sich dort mit ihm getroffen hat.«
Fannys Blick ging von Kincaid zu Gemma. »Ich verstehe nicht.«
»Wir auch nicht«, erwiderte Gemma beschwichtigend, und Kincaid glaubte an ihrem Ton zu erkennen, dass er Fanny Liu ihrer Meinung nach zu hart anpackte. »Hören Sie, Ms. Liu«, fuhr Gemma fort. »Die einzige Möglichkeit, wie wir Elaine Holland definitiv ausschließen können, ist durch einen Vergleich einer DNA-Probe von ihr mit derjenigen der Toten.«
»Wie wollen Sie an Elaines DNA herankommen?«, fragte Fanny. »Ich dachte, das geht nur, indem man Blut abnimmt, oder – Sie wissen schon, bei Vergewaltigungen.«
»Jeder Mensch hinterlässt ständig Spuren seiner Erbsubstanz – im Bad, im Schlafzimmer, überall«, sagte Kincaid. »Wenn Sie gestatten, werde ich einmal sehen, was ich finden kann.«
»Aber es kann nicht Elaine sein«, protestierte Fanny. »Das ist einfach nicht möglich!« Die anderen verharrten alle schweigend, um ihr Zeit zu geben, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen. Nach einer Weile sah sie Winnie an, als wollte sie sich bei ihr vergewissern; dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. »Okay. Tun Sie, was immer Sie für notwendig halten.«
»Gut.« Kincaid schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. »Glauben Sie mir, je schneller wir das hinter uns bringen, desto besser ist es für alle Beteiligten. Also, soweit ich informiert bin, benutzen Sie das obere Bad nicht; ist das richtig?« Als Fanny bestätigend nickte, wandte er sich an Gemma und Winnie. »Hat eine von euch beiden das Waschbecken benutzt oder irgendetwas in den Abfalleimer im Bad geworfen?«
Winnie schüttelte den Kopf, und Gemma antwortete: »Ich nicht. Aber ich glaube, wir haben beide in die Hausapotheke geschaut, und ich habe auch einen Blick in das Wandschränkchen über der Toilette geworfen.«
»Es dürfte wohl nicht schwierig sein, deine Haare auszusondern, falls ein paar im Waschbecken gelandet sein sollten.« Er warf ihr einen zärtlichen Blick zu. »Aber ich werde es zuerst mit der Badewanne versuchen; so können wir Winnie leichter ausschließen. Was ist mit dem Bett? Hat eine von euch die Laken zurückgeschlagen?«
Gemma warf Winnie einen fragenden Blick zu, bevor sie für beide antwortete: »Nein.«
Kincaid wandte sich wieder an Fanny Liu. »Kann sonst noch irgendjemand in den oberen Zimmern gewesen sein?«
»Nein. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt jemand
dort oben gewesen ist, bevor Winnie und Gemma gestern hier waren. Elaine hat immer selbst geputzt. Ich habe ihr gesagt, ich würde ihr auch eine Putzhilfe bezahlen, aber sie schien immer darauf bedacht, mir unnötige Ausgaben zu ersparen.«
»Also gut, dann fange ich mal an.«
Als Kincaid die Treppe hinaufging, empfand er eine tiefe Erleichterung. Es war nicht nur die erdrückende Atmosphäre des Zimmers, wie ihm jetzt klar wurde – es war Fanny Liu selbst, deren Gegenwart ihm Unbehagen bereitete. Er war es gewohnt, mit Menschen zu tun zu haben, die mit Gefühlen von Trauer und Schock nach einer Tragödie zu kämpfen hatten. War es ihre Krankheit, die diesen inneren Widerstand in ihm hervorrief? Natürlich tat sie ihm Leid. Aber wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass sein Mitleid mit einer Spur von Ablehnung gemischt war.
Diese Reaktion auf einen behinderten Menschen erfüllte ihn plötzlich mit Scham, und er hielt am oberen Treppenabsatz inne. Für einen kurzen Moment malte er sich aus, wie es wäre, wenn Gemma plötzlich durch eine schwere Krankheit an den Rollstuhl gefesselt wäre. Würde er dann ebenso reagieren? Der Gedanke erschreckte ihn zutiefst.
Aber Gemma würde gegen ihr Schicksal ankämpfen, sie wäre mürrisch, launisch und schwierig, und sie würde irgendwie einen Weg finden, mit der Krankheit zu leben. Es war nicht Fanny Lius körperlicher Zustand, mit dem er Probleme hatte, das wurde ihm nun klar, sondern die Tatsache, dass sie eine solche Hilfsbedürftigkeit ausstrahlte. Die Frau trug ihre Verletzlichkeit wie ein Banner vor sich her.
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