Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Falls sich herausstellte, dass Elaine Holland sie ausgenutzt hatte, würde ihn das kaum überraschen. Aber wenn Fanny Liu das Opfer in dieser Beziehung war, was war dann mit Elaine Holland passiert?
Als Kincaid das Zimmer verließ, musste Gemma sich beherrschen, um ihm nicht hinterherzueilen. Ihr natürlicher Instinkt
trieb sie immer zum Handeln. Sie wollte irgendetwas tun, und nicht bloß in diesem allzu stillen Zimmer sitzen und zusehen, wie Fanny Liu vor ihren Augen immer kleiner zu werden schien. Es kam ihr vor, als sei die Frau in der kurzen Zeit seit ihrem gestrigen Besuch noch dünner geworden, als sie ohnehin schon war, und nachdem Kincaid sie allein gelassen hatte, war Fanny noch mehr in sich zusammengesunken, als hätte sie alle ihre Energiereserven aufgebraucht.
Das Knarren von Kincaids Schritten, der über ihnen hin und her ging, war deutlich zu vernehmen. Gemma ertappte sich dabei, wie sie die Ohren spitzte und sich wünschte, er möge sich doch beeilen. Winnie saß still neben ihr, und Gemma beneidete sie um die Geduld und ihre Fähigkeit, allein durch ihre Anwesenheit anderen eine Stütze zu sein. Aber im Händchenhalten war Gemma noch nie besonders gut gewesen, auch nicht in ihrer Zeit als Streifenpolizistin, und heute gestattete ihr Job es ihr glücklicherweise, solche Dinge an diejenigen zu delegieren, die mehr davon verstanden.
Dann durchbrach das Klingeln von Winnies Handy die Stille. Nach einem kurzen, in gedämpftem Ton geführten Gespräch legte Winnie auf und erhob sich. »Es tut mir Leid, aber ich muss noch mal rasch ins Pfarrbüro. Fanny, ich bin so bald wie möglich wieder hier.« Sie beugte sich vor, um Fanny kurz zu umarmen, und im Hinausgehen sagte sie leise zu Gemma: »Kommst du nachher noch kurz zu mir ins Büro?«
Winnies Aufbruch schien Fannys Lebensgeister wieder geweckt zu haben. Sie richtete sich ein wenig im Rollstuhl auf und sah Gemma mit ihren dunklen Augen an. »Ich begreife immer noch nicht, warum Elaine in einem Lagerhaus gewesen sein soll. Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Mag sein, dass sie Michael Yarwood nicht gekannt hat, aber hätte sie sich nicht mit jemand anderem treffen können?«, mutmaßte Gemma, die die Gelegenheit nutzen wollte.
»Mit wem denn? Elaine ist jeden Tag zur Arbeit gegangen
und wieder nach Hause gekommen. Sie hat sich nie mit anderen Leuten getroffen.«
»Dann vielleicht jemand von der Arbeit?«
»Von den Leuten aus ihrer Abteilung hat sie niemanden besonders gemocht. Sie ist nie mitgegangen, wenn die anderen Frauen sich im Pub oder bei einer Geburtstagsfeier getroffen haben. Sie haben sie eingeladen, aber Elaine sagte, sie seien allesamt Klatschweiber, eine wie die andere, und sie würde ihre Zeit lieber mit …« Zum ersten Mal geriet Fanny Liu ins Stocken. »Mit mir verbringen. Und selbst wenn sie sich dort mit jemandem getroffen hätte, bleibt die Frage, was aus der anderen Person geworden ist. Wieso ist sie nicht auch verbrannt?«
Gemma hatte nicht die Absicht, ihr zu verraten, dass laut Aussage der Pathologin die Frau aus dem Lagerhaus von ihrem Begleiter brutal ermordet und in dem flammenden Inferno zurückgelassen worden war. Irgendwann würde auch diese Information veröffentlicht werden, was es unvermeidlich machte, dass Fanny Liu davon erfuhr, aber bis dahin würden sie vielleicht das Opfer wie auch den Täter bereits zweifelsfrei identifiziert haben. So sagte sie einfach nur: »Wir wissen es nicht.« Allerdings war es ihrer Meinung nach höchste Zeit, dass Fanny Liu ein wenig mehr über ihre Mitbewohnerin erfuhr. »Ms. Liu, Sie sagten vorhin, Elaine Holland sei nie ausgegangen. Aber als ich mich gestern in ihrem Zimmer umgesehen habe, habe ich in einem Schrank Abendgarderobe entdeckt.« Als Fanny sie verständnislos anstarrte, präzisierte sie: »Sie wissen schon, elegante Kostüme, hochhackige Schuhe … Haben Sie sie jemals darin gesehen?«
»Elaine?« Fanny lächelte. »Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht ist sie früher mehr ausgegangen, bevor wir … bevor sie bei mir eingezogen ist.«
Das überzeugte Gemma nicht. Sie hätte schwören können, dass manche der Sachen, die sie gesehen hatte, bei weitem noch keine zwei Jahre alt waren. »Aber was wirklich merkwürdig
ist«, fuhr sie fort, »ist, dass diese Kleider sorgfältig versteckt waren. Wussten Sie, dass sich hinter dem Kleiderschrank in Ms. Hollands Zimmer noch ein zusätzlicher Stauraum bef indet?«
Fanny schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe das
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