Denn rein soll deine Seele sein
Wochenende. Jetzt allerdings sah er eher aus, als könnte er sich jeden Augenblick in die Hosen machen vor Angst.
»Ihren Führerschein, bitte.«
»Tut mir leid, der Ausbruch eben, aber -«
»Den Führerschein.«
»Aber ja.« Nach einigem Suchen reichte der Fahrer ihn durchs offene Fenster.
Decker überflog die Angaben. Ronald Elward, Größe 1,74, Gewicht 75 Kilo, blaue Augen, braunes Haar. Achtundzwanzig. Armleuchter.
»Mr. Elward, Sie scheinen nicht zu wissen, wie man sich auf einer Autobahn benimmt...«
»Es tut mir leid.«
»Ich könnte Sie wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung festnehmen.« Der Mann wurde blaß.
»Betrachten Sie das als eine Warnung. Sie haben noch mal Glück gehabt.«
»Ja, Sir.«
Decker ging zurück zu seinem Wagen und fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Es war eine lange Nacht gewesen. Der Mord, vier Stunden Verhör, ein Haufen Papierkram.
Moshe Feldman in die Zange zu nehmen hatte sich als nahezu unmöglich erwiesen. Mit den üblichen Vernehmungsmethoden kam man bei einem Schizophrenen nicht weit. Daß man ihm einen Mord zur Last legte, schien ihm gar nicht bewußt zu sein, und daß ihm ein Gefängnisaufenthalt drohte, rührte ihn offenbar nicht. Er sprach flüssig und ohne Hemmungen, meist allerdings unverständliches Zeug und nicht immer Englisch. Decker bat den Rabbi, das Hebräische zu übersetzen, der ihm erklärte, daß es in Wirklichkeit Aramäisch war und daß Moshe aus der Gemara Sukkot zitierte.
Mit Feldmans Anwalt war es ebenso schwierig gewesen. Der Rabbi hatte einen Strafverteidiger aus Beverley Hills kommen lassen, einen streitsüchtigen Burschen, der mit allen Wassern gewaschen war. Der Anwalt erhob Einspruch gegen jede Frage, die Decker stellte, so daß die Hälfte der Zeit auf Neuformulierungen draufgegangen war.
Nach stundenlangem Verhör war er nicht klüger als zu Anfang. Auch die Durchsuchung von Feldmans Behausung hatte nichts Brauchbares ergeben. Der Eigenbrötler hatte sich in einen Gartenschuppen verkrochen, der mit Dachpappe gedeckt war und nicht mal so elementare Dinge wie ein Bett oder eine Toilette, dafür aber Rasenmäher, Hacken, Schaufeln, Scheren, Draht, Düngemittel und Samen enthielt. An den morschen Holzlatten lehnten ein paar Kisten als Schrankersatz. Sie enthielten alte Kleider in verschiedenen Größen, schmuddelige weiße Hemden, muffig riechende schwarze Hosen und alte schwarze Hüte. In einer Ecke aber hingen in einer Plastikhülle ein weißes, mit Goldstickerei verziertes Gewand und ein Gebetsschal mit Silberkante.
Rabbi Schulman hatte Decker erzählt, daß Moshe auf dem Boden schlief und nur frisches Obst und rohes Gemüse aß, das er auf einem kleinen Stück Land hinter dem Schuppen selbst zog. Nur zum Schabbes leistete er sich challah und Wein. Einen Topf Suppe und gekochtes Huhn bekam er von der Frau des Rosch-Jeschiwa.
Besonders seltsam in dieser Behausung mutete das Prunkstück an, ein Bücherschrank aus dunklem Nußbaumholz mit facettierter Bleiverglasung, ein schönes altes Stück mit Intarsienarbeiten und Schnitzereien, das offensichtlich einigen Wert hatte. Es enthielt hebräische Gebetbücher und Gebetriemen. Am Tatort hatte sich einiges an potentiellem Belastungsmaterial gefunden, eine Faser von Feldmans Jacke am Ast einer Eiche, frische Spuren, die den Schuhen entsprachen, die er getragen hatte. Doch eine Mordanklage ließ sich nicht darauf aufbauen. Moshe war ein unruhiger Geist, er war ständig im Gelände unterwegs, mit der Jacke konnte er schon vor längerer Zeit an der Eiche hängengeblieben sein, auch seine Fußspuren konnte er schon vor dem Mord dort hinterlassen haben. Und was noch wichtiger war: Aus dem Laborbefund ergab sich nichts, woraus man eine direkte Mordbeteiligung hätte konstruieren können. Kein Blut an der Kleidung, keine Waffe, keine Fingerabdrücke, keine Spuren von Fasern oder Haar Moshes an der Leiche oder umgekehrt.
Moshe war entlassen worden und war - mehr oder minder -wieder ein freier Mann.
Decker stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Reviers ab und betrat den Dienstraum. Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, dann zog er sich mit Hollander und Marge in einen der Vernehmungsräume zu einem Kriegsrat zurück.
»Feldman ist also wieder frei«, stellte Hollander fest.
»Wir haben nichts gegen ihn in der Hand, wenn man davon absieht, daß er zur falschen Zeit am falschen Ort war.«
»Glaubst du, daß er es getan hat?« fragte Marge.
»Nein. Und du?«
»Ich auch nicht.
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