Denn vergeben wird dir nie
Akte nachgesehen. Von den Leistungen
her mäßig. Nicht zu vergleichen mit dem Großvater, nach
allem, was ich gehört habe. Pearson Westerfield hat es
zum Senator der Vereinigten Staaten gebracht.«
»Warum ist Rob Westerfield mitten im zweiten Jahr von
der Schule abgegangen?«
»Es gab einen ernsten Zwischenfall; der Anlass war,
dass er nicht für die Footballmannschaft aufgestellt wurde.
Er hat einen anderen Schüler angegriffen. Die Familie
wurde überredet, keine Klage einzureichen, die Wester
fields haben sämtliche Rechnungen bezahlt. Vielleicht
auch mehr als das – dafür will ich nicht meine Hand ins
Feuer legen.«
Allmählich dämmerte mir, dass Craig Parshall
ungewöhnlich offen mit mir redete. Ich machte eine
entsprechende Bemerkung.
»Ich habe es nicht gern, wenn man mir droht, Miss
Cavanaugh.«
»Droht?«
»Heute Morgen, kurz bevor Sie gekommen sind, erhielt
ich einen Anruf von einem gewissen Mr. Hamilton, einem
Anwalt der Familie Westerfield. Man hat mich davor
gewarnt, Ihnen irgendwelche negativen Informationen
über Robson Westerfield zu liefern.«
Die arbeiten schnell, dachte ich. »Darf ich fragen,
welche Art von Informationen Sie an Jake Bern über
Westerfield weitergegeben haben?«
»Seine sportlichen Leistungen, die auch wirklich
vorhanden waren. Robson war ein athletischer junger
Mann, schon als Dreizehnjähriger war er fast ein Meter
achtzig groß. Er spielte in der Squashmannschaft, in der
Tennismannschaft und in der Footballmannschaft.
Außerdem war er in der Theatergruppe. Ich habe Bern
erzählt, dass er ein angeborenes Talent zum Schauspielen
besaß. Das war die Art von Information, die Bern hören
wollte. Er hat es fertig gebracht, mir ein paar Sätze zu
entlocken, die sich gedruckt sehr günstig anhören
werden.«
Ich konnte mir genau vorstellen, wie Bern das Kapitel
über Rob in Arbinger angehen würde. Er würde ihn als
vielseitig begabten Schüler in der seit drei Generationen
von der Familie bevorzugten Privatschule herausbringen.
»Wie werden Sie seinen Abgang von Arbinger
erklären?«
»Das zweite Semester seines zweiten Jahres hat er im
Ausland verbracht und sich dann für eine andere Schule
entschieden.«
»Es ist mir klar, dass es schon dreißig Jahre zurückliegt,
aber könnten Sie mir eine Liste seiner ehemaligen
Klassenkameraden besorgen?«
»Natürlich haben Sie sie nicht von mir.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
Als ich Arbinger eine Stunde später verließ, war ich im
Besitz einer Liste der Klassenkameraden Rob Westerfields
aus den ersten beiden Jahren. Als er diese mit der Liste der
aktiven Ehemaligen verglich, konnte mir Parshall zehn
heraussuchen, die heute in der Gegend zwischen
Massachusetts und Manhattan lebten. Einer von ihnen war
Christopher Cassidy, der Football-Spieler, den Rob
Westerfield zusammengeschlagen hatte. Er war inzwi
schen im Besitz einer eigenen Investmentfirma und
wohnte in Boston.
»Chris war als Stipendiat bei uns«, hatte Parshall
erläutert. »Und weil er Dankbarkeit dafür empfindet, dass
es ihm vergönnt war, diese Schule zu besuchen, gehört er
zu unseren größten Spendern. In seinem Fall hätte ich
nichts dagegen, selbst anzurufen. Chris hat nie einen Hehl
daraus gemacht, wie er über Westerfield dachte. Aber,
noch einmal, die Tatsache, dass ich Sie mit ihm
zusammenbringe, bleibt bitte unter uns.«
»Absolut.«
Parshall hatte mich bis zum Eingang begleitet. Es war
gerade Pause zwischen zwei Stunden, und auf das sanfte
Bimmeln einer Glocke strömten die Schüler in kleinen
Gruppen aus den verschiedenen Klassenzimmern. Eine
neue Generation von Arbinger-Schülern, dachte ich,
während ich ihre jungen Gesichter betrachtete. Viele von
ihnen waren in der Zukunft für führende Positionen
ausersehen, aber konnte man ausschließen, dass innerhalb
dieser privilegierten Mauern auch ein neuer Soziopath
vom Schlag eines Robson Westerfield heranreifte?
Ich verließ das Schulgelände und fuhr die Hauptstraße
der Stadt entlang, welche an der Schule beginnt. Auf dem
Plan konnte ich sehen, dass sie in gerader Linie von der
Arbinger Prep am südlichen Ende der Stadt bis zur Jenna
Calish Academy für Mädchen am nördlichen Ende verlief.
New Cotswold war eines dieser bezaubernden Dörfer in
Neuengland, welche rund um ihre Schulen entstanden
waren. Es besaß eine große Buchhandlung, ein Kino, eine
Bücherei, eine Reihe von Bekleidungsgeschäften und
mehrere kleine Restaurants.
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