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Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)

Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition)

Titel: Department 19 - Die Wiederkehr: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Hill
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hierherzukommen, wenn das letzte Sonnenlicht die alten Zinnen und Wasserspeier hoch über ihm beleuchtete. Tagsüber waren hier Touristenhorden mit umgehängten Kameras und Reiseführern in der Hand unterwegs, während Jugendliche auf Skateboards und Fahrrädern um sie herumkurvten, aber während der Gottesdienste war der Platz vor der Kirche weitgehend verwaist. In der kalten Weihnachtszeit war der Touristenstrom abgeebbt, und die meisten Pariser blieben zu Hause.
    Diejenigen, deren Glaube sie in die Winternacht hinaustrieb, hatten sich in der vergleichsweise warmen Kathedrale versammelt, als die Glocken um 18 Uhr zum Weihnachtsgottesdienst riefen. Frankenstein hatte sich mehrmals unter sie gesellt, während die gewaltige Orgel dröhnte, der Kirchenchor sang, Weihrauch aufstieg und der Kardinal vor dem alten Altar die Messe las.
    Heute hatte er sich dafür entschieden, draußen zu bleiben.
    Die Gesichter der aus der Kathedrale kommenden Männer und Frauen zu beobachten war ebenso aufschlussreich wie der Gottesdienst selbst, fand er. Ihr Mienenspiel reichte vom blanken Desinteresse derer, für die das Ritual nur eine lästige Pflicht war, die sie noch nicht ganz hatten abschütteln können, bis zu den entrückten Mienen der wahrhaft Gläubigen, die mit dem Trost von Gottes Segen und vor der Allmacht ihres Gottes zitternd aus der Kathedrale kamen.
    Die Tiefe ihrer Gefühle faszinierte ihn. Weil er – auch nach fast drei Wochen in der Stadt, deren wiedererkannter Name der einzige Lichtblick in seinem leeren zweiten Leben geblieben war – selbst nichts empfand.
    Er fühlte überhaupt nichts.
    Bei seiner Ankunft in Paris hatte Frankenstein sich wie zerschlagen gefühlt. Nach eineinhalb Tagen in seinem kalten unbequemen Versteck unter dem Sattelschlepper hatte er ungesehen weghumpeln können, als der Fahrer vor dem Marché d’Intérêt National Rungis, dem riesigen Großmarkt im Süden von Paris, angehalten hatte. Frankenstein hatte sich von einem Kioskbesitzer den Weg zur Stadtmitte erklären lassen und war nach Norden marschiert. Aber je mehr er sich dem Zentrum näherte, desto größer wurde seine Enttäuschung.
    Er erkannte absolut nichts wieder.
    Kein einziges Gebäude, keine Sehenswürdigkeit, keinen Namen einer Straße oder eines Restaurants; nichts löste einen Erinnerungsschub aus, wie er ihn in Mannis Truckerstopp erlebt hatte. Er sah nichts, was ihm das Gefühl vermittelte, jemals in dieser Stadt gewesen zu sein.
    Er erreichte die Seine, die sich von prächtigen Brücken überspannt mitten durch die Stadt schlängelte, und empfand nichts. Er wartete auf eine Erleuchtung, wartete darauf, dass die verschlossenen Türen seines Verstands sich knarrend öffnen und seine Erinnerungen freigeben würden.
    Aber dazu kam es nie.
    Seit nunmehr fast drei Wochen irrte er auf den Pariser Straßen umher. Er war so verwirrt und desorientiert wie zuvor – vielleicht sogar noch mehr, weil er scheinbar den ersten Schritt zur Zurückgewinnung seiner Identität gemacht hatte, ohne weitere Fortschritte erzielen zu können. Von Touristen und gewöhnlichen Parisern angestarrt zu werden war ihm unbehaglich, deshalb begann er, seine Tage in den dunklen Ecken der zahllosen Kirchen und Museen zu verbringen, um vor neugierigen Blicken sicher zu sein.
    Nachts war er auf den Straßen um den Place Pigalle und im Marais unterwegs, blieb aber auch dort möglichst in den Schatten. Er beobachtete die Gruppen von Männern und Frauen, die lachend aus Bars und Cafés kamen und Drogenhändler und Nutten, die ihre Geschäfte an den Ecken düsterer Gassen abwickelten.
    Frankenstein hatte keine Ahnung, was er mit dem neuen Leben anfangen sollte, das ihm geschenkt worden war, aber er spürte tief in seinem Inneren immer deutlicher, dass er es eigentlich nicht weiterführen wollte. Mehrmals stand er auf einer der Brücken, starrte ins dunkle kalte Wasser der Seine und fragte sich, wie es sein würde, mit einer Flanke übers Brückengeländer zu setzen: vielleicht ein Augenblick der Panik, ein sekundenlanger Sturz, danach eisiges Vergessen, das einem Kehle und Lunge füllte.
    Weil er nicht stehlen wollte und zu stolz war, um zu betteln, lebte er von der dünnen Suppe, die von sozial gesinnten, eifrigen jungen Männern und Frauen ausgeteilt wurde, die allabendlich mit ihren Essenswagen zu den Gewölben neben dem Gare du Nord kamen. Er stellte sich geduldig zwischen Betrunkenen, Drogenabhängigen und Geistesgestörten an und wartete darauf, dass er

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