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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Westfront nach Berlin reiste und sich wichtig fühlte. Der Mann war müde, bald fing er an mit offenem Mund laut zu schnarchen. Manchmal zuckte er im Schlaf zusammen. Er trug Schmisse im feisten Gesicht, an der Uniform das EK I, die roten Streifen an der Hose verrieten, er war Generalstäbler.
    Kurz vor Karlsruhe weckte ein Ruck Werdin aus dem Dämmerschlaf. Quietschend hielt der Zug an. Irgendjemand brüllte: »Fliegerangriff! Alles raus! Deckung suchen!« Werdin trat den Oberst gegen das Schienbein, und bevor der sich beschweren konnte, brüllte er ihn an: »Alarm! Wir müssen raus!« Der Mann war blitzschnell wach. Im Gang drängten sie sich in einer hysterischen Menge. Werdin fürchtete, er würde erdrückt, wenn irgendetwas die Menschen hinderte, den Waggon zu verlassen. Sie schrien wild durcheinander, Leute quetschten sich aus überfüllten Abteilen in den schmalen Gang. Raus, nichts wie raus aus der Falle. Motorengeheul übertönte den Lärm im Zug, dann das Rattern von Bordkanonen. Tiefflieger. Als Werdin endlich draußen war, sprang er den Bahndamm hinunter, stolperte, fiel hin und rollte einen steilen Hang hinab, bis er auf einen Baumstamm prallte. Stechende Schmerzen im Brustkorb. Er lag am Rand eines Waldes. Oben flogen zwei doppelrumpfige Lightnings Angriff auf Angriff. Es dröhnte, als ein Jabo eine Bombe auf den Zug warf, ihn aber verfehlte. Dumpf detonierte sie in der Erde.
    Ein Körper kam den Hang hinuntergerollt, der Kopf fehlte. Er stieß auf den Baum, der schon Werdins Abgang beendet hatte. Blut strömte aus dem Hals. An der blutbefleckten Uniform erkannte Werdin das EK I und die Uniformklappen eines Obersten. An den Hosenbeinen rote Streifen.
    Plötzlich herrschte Ruhe. Vorsichtig kroch Werdin den Damm hoch, ihm folgten andere. Die Waggons waren übel zugerichtet, Löcher in den Wänden, zersplitterte Scheiben. Die Reichsbahner kontrollierten Gleise und Radreifen. Die Lokomotive dampfte. »Schnell einsteigen!« Die Menschen drängten sich zurück in Gänge und Abteile, Werdin hatte Angst, zerquetscht zu werden. Erst im Kurierabteil war er allein. Er hatte den Torso des Obersten liegen gelassen, niemand kümmerte sich um die Leiche. Den Kopf hatte er nicht gesehen. Die Leute wollten so schnell wie möglich weg von diesem Ort. Sie fürchteten neue Angriffe.
    Der Oberst hatte seinen Mantel, einen Koffer und eine Tasche im Abteil zurückgelassen. Werdin öffnete die Tasche, es waren Akten darin. Er schaute sich die Papiere an und entdeckte ein Konvolut, überschrieben mit Denkschrift. Die Lage an der Westfront. Unterschrieben hatte Feldmarschall Rommel, Oberbefehlshaber der Westfront, einst Hitlers Lieblingsgeneral.
    Werdin las mit wachsender Erregung. Glaubte man der Ausarbeitung, dann war der Zusammenbruch der Westfront nur noch eine Frage von Tagen. Amerikaner und Engländer hätten in den vergangenen Wochen riesige Mengen von Kriegsmaterial herangeschafft, mehr, als sie bei ihrer Landung in der Normandie eingesetzt hätten. In der Luft und auf dem Boden seien die Feinde der Wehrmacht um ein Vielfaches überlegen. Mit dem Beginn der Großoffensive gegen das Ruhrgebiet sei in den nächsten zweiundsiebzig Stunden zu rechnen. Rommel forderte, die zur Verteidigung des Luftraums über dem Reich abgezogenen Luftwaffeneinheiten befristet der Westfront zu unterstellen, um den Feind aufzuhalten. An einen Sieg sei aber nicht zu denken. Seine Armeen seien bereit, die Stellungen so lange wie möglich zu halten. Er weise aber jetzt schon darauf hin, dass er hohe Verluste akzeptiere, nicht aber die Vernichtung seiner Soldaten in einem sinnlosen Gemetzel. Sollte der Reichsführung nicht ein Befreiungsschlag gelingen, könnte er eine Kapitulation im Westen nicht mehr ausschließen. Er habe all dies bereits per Fernsprecher gemeldet. In seiner Denkschrift, die Oberst von Hoch persönlich Feldmarschall von Witzleben überreichen werde, erlaube er sich, seine Gedanken noch einmal zusammenzufassen. Er verlange, dass seine Denkschrift dem Kriegstagebuch angefügt werde.
    Rommel forderte einen Befreiungsschlag. Werdin schloss daraus, dass der Marschall das Uranprojekt kannte. Oder meinte er die Kapitulation? Nein, es war unvernünftig, anzunehmen, dass die Oberbefehlshaber der Fronten nichts wussten von Deutschlands Wunderwaffe.
    Der Zug hatte Fahrt aufgenommen. Kalte Luft strömte durch die Türritzen ins Abteil, Werdin deckte sich mit dem Mantel des Obersten zu. Er dachte an Irma, dann träumte er von ihr. Gerüttel

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