Der 21. Juli
verleiht.
Diebner ging Werdin mit schnellen Schritten entgegen, als dieser anklopfte und ins Zimmer trat. Werdin hatte ihn in den vergangenen Monaten gut kennen gelernt. Diebner steckte zwar in Wehrmachtuniform, aber er legte keinen Wert auf soldatische Umgangsformen. Sein Ehrgeiz fegte jedes Hemmnis aus dem Weg, auch dieses. Richtig war, was das Projekt voranbrachte. Falsch war, was es bremste. Diebner war zwar ein Pfau, aber er ordnete seine Eitelkeit dem Erfolg des Projekts unter. Er wusste, wenn das Unternehmen gelang, dann war er Deutschlands erster Wissenschaftler, und mehr als das: Er war der Mann, der die Nation aus dem Tal der Verzweiflung rettete.
»Wir haben es geschafft«, sagte Diebner. »Zwar sind uns die Gegner ziemlich auf die Pelle gerückt. Viel Zeit hätten wir nicht mehr brauchen dürfen. Aber nun haben wir dreizehn Uranbomben im Keller liegen. Eine mehr als geplant. Ich hoffe, Sie sind nicht abergläubisch.«
Mit »Keller« meinte er den gigantischen Bunker aus mehreren Stahlbetonschichten unter den Labors.
»Und nun?«, fragte Werdin.
»Das muss die Regierung entscheiden.« Diebner zündete sich eine neue Zigarette an. »Wir haben getan, was uns aufgetragen war. Dass wir es hingekriegt haben, verdanken wir nicht zuletzt dem Reichsführer. Aber auch Minister Speer hat Enormes geleistet. Wenn sich die Herren in Berlin auch sonst nicht grün sind, bei diesem Projekt haben alle mitgezogen. Wir haben gigantische Ressourcen verbraten, und das nicht ohne Risiko. Aber was da im Keller liegt, rechtfertigt alles.«
Werdin fragte sich, ob es etwas geben könne, das alles rechtfertigt. Aber er unterbrach Diebners Monolog nicht.
»Sagen Sie dem Obergruppenführer Schellenberg unseren Dank. Beglückwünschen Sie ihn auch zur Beförderung, die hat er sich verdient.«
Schellenberg war auf dem Weg nach oben. Vor ihm standen nur noch der Reichsführer und Kaltenbrunner. Als das Reichssicherheitshauptamt nach dem Staatsstreich zusammen mit der Gestapo aufgelöst worden war, avancierte Kaltenbrunner zum Stellvertreter Himmlers, eine für ihn neu geschaffene Position. Aber dies war ein geringer Vorteil im Machtkampf mit Schellenberg, denn Himmler ließ seine beiden wichtigsten Satrapen wetteifern um seine Gunst und sah sich vor, einen zu stark werden zu lassen. So bewahrte sich der Reichsführer zwei Varianten der Machtpolitik: Kaltenbrunner verkörperte Brutalität, er war der Mann mit dem Säbel; Schellenberg stand für Raffinesse und Strategie, er focht mit dem Degen. Die beiden konnten sich nicht ausstehen. Schellenberg hielt Kaltenbrunner für einen primitiven Hund. Kaltenbrunner verachtete Schellenberg als Weichling.
»Und was wird aus Ihnen, nach dem großen Erfolg?«
»Erfolg? Das werden wir sehen. Wir haben unsere Kinder nicht testen können. Der erste Einsatz wird der erste Test. Man braucht einem Wissenschaftler das nicht zu erklären, Versuche können schief gehen. Die meisten Versuche scheitern. Unser Erfolg ist zunächst theoretischer Natur. Wir haben die wissenschaftlichen Schwierigkeiten gemeistert. Wir haben eine kontrollierte Kettenreaktion in Stahl verpackt. Wir bilden uns ein, dass die Zünder mehr als stark genug sind, um die Kettenreaktion auszulösen.«
»Also werden Bomben abgeworfen, es gibt keine Demonstration?«
»Wenn ich vergangenen Monat in Berlin richtig zugehört habe, will das OKW eine Bombe über einem unbewohnten Gebiet in Russland detonieren lassen. Nahe genug einer Stadt, damit unsere bolschewistischen Freunde auch mitbekommen, was los ist. Der Abwurf soll nicht angekündigt werden. Stellen Sie sich vor, die Sache scheitert, nachdem wir vorher große Töne gespuckt haben. Das wäre fatal. Lieber halten wir die Klappe und sagen was, nachdem es gerummst hat. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, versuchen wir es wieder. Wir arbeiten hier jedenfalls weiter. Bombe Nummer vierzehn wird etwas anders gebaut als die anderen dreizehn - mehr Variationen, mehr Chancen. Irgendeine wird schon hochgehen.«
Nun war dieser seltsame Auftrag zu Ende. Er konnte zurückkehren nach Berlin, zu Irma. Werdin setzte sich im zerstörten Stuttgarter Hauptbahnhof in den D-Zug nach Frankfurt am Main. Der Sicherheitsdienst hatte ihm einen Fahrschein für das Kurierabteil gegeben, sonst hätte er keinen Platz gefunden. Gereizte Menschen drängelten sich in den Gängen, die Toiletten waren verschmutzt oder spülten nicht. Werdin teilte sich das Kurierabteil mit einem Wehrmachtoberst, der von der
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