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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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freundlich. Uns wäre da vor ein paar Jahren einer abhanden gekommen. Den hätten wir gerne wieder. Lebend, wenn es geht. Aber auch im Sarg, wenn es unbedingt sein muss. Einige Fragen würde ich dem Herrn allerdings gerne stellen.«
    Als Gottlieb sich abgemeldet hatte, machte sich Krause auf den Weg zu Schellenberg. Er hatte Glück, der Chef war da und hatte Zeit für ihn.
    »Sagen Sie, Obergruppenführer, in letzter Zeit erlebe ich Mysteriöses mit diesem Werdin. Vor kurzem war ich bei Kamerad Reitberg und stelle fest, ein Teil der Personalakte Werdins fehlt, und zwar die letzten Monate, die er so freundlich war, mit uns zu verbringen. Dann endet eine unserer Quellen in Rotterdam unter einem Zug. Eine Oma sagt, ein Kerl habe den armen Mulden, so hieß unser Mann, vom Bahnsteig geschubst. Die Oma gibt eine nicht sehr ausführliche Beschreibung des Täters, aber was sie sagt, passt auf unseren Freund Werdin. Und dass der uns besuchen will, entnehme ich dem Bericht eines V-Manns in Amerika.«
    Schellenberg saß auf seinem Sessel und lächelte freundlich. »Sie sind ein schlauer Kopf, Krause. Sie werden es noch weit bringen. Fangen Sie den Werdin, möglichst bald. Und wegen der anderen Sache machen Sie sich mal keinen Kopp, das ist doch Schnee von gestern. Was kratzt uns eine alte Personalakte?«
    Krause schüttelte den Kopf. Es erforderte keinen Mut, Schellenberg zu widersprechen. Schellenberg liebte solche Auseinandersetzungen, sie brachten den Sicherheitsdienst voran und stärkten den Zusammenhalt. »Haben Sie mir damals nicht von Vorwürfen erzählt, die gegen Werdin erhoben wurden? Ich sollte mit ihm saufen gehen, ihn ein bisschen provozieren, in ihn hineinhören, haben Sie gesagt. Mal auf den Busch klopfen. Es kam nichts heraus dabei. Und kurz darauf war der Kamerad Werdin abgehauen. Man stelle sich das vor, am Tag unseres Siegs verpisst der sich. Offen gesagt, ich finde das alles komisch. War an den Vorwürfen was dran?«
    Schellenberg schien in seiner Erinnerung zu graben. Dann zuckte er leicht die Achseln, machte ein betrübtes Gesicht. »Davon weiß ich nichts mehr. Sie haben bestimmt Recht, und es war alles so. Ich werde alt. Aber noch lohnt es sich nicht, an meinem Sessel zu sägen, Krause. Keine Sorge, Sie kommen früh genug zum Zug. Sie sind mein bester Mann.«
    Krause staunte. Schellenberg vergaß nie etwas. Schon gar nicht, wenn es wichtig war. Da war ein Geheimnis, und Schellenberg wollte schweigen. Wie lange noch?
    ***
    Der Zug hatte Tilburg hinter sich gelassen. Werdin saß allein in seinem Abteil und schaute auf die eintönige Landschaft. Holland war eine einzige Ebene. Hier und da ein paar Kanäle und Deiche, um die Sturmfluten daran zu hindern, das unter der Meeresoberfläche liegende Land absaufen zu lassen. Werdin gefiel an Holland nicht viel außer der Nordseeküste und Amsterdam, der Grachtenstadt, in der das bunte Menschengewimmel von einstiger Weltmacht zeugte. Werdin mochte auch die Holländer. Es waren meist bescheidene, ehrliche Leute, fleißig, friedlich und unbeugsam. Sie hatten sich bis 1945 der Besetzung durch die Stärkeren unterwerfen müssen, aber sie verkauften ihre Seelen nicht. Sie hatten Land dem Meer entrissen und gaben es nicht mehr her. Um die Spanier loszuwerden, hatten sie ihre Kanäle geflutet. Gegen Bombenflugzeuge und Fallschirmjäger half das nicht. Die Tulpen waren längst verblüht, die Blumenfelder gepflügt und geeggt. Bald würden fleißige Züchter neue Zwiebeln setzen.
    Nach Tilburg kam Eindhoven. Der Zug hüllte den Bahnsteig in Dampf und Rauch. Eine Brise blies die Sicht frei. Blaue Uniformen, Polizei. Werdin sah sie Ausweise kontrollieren. Ein Beamter stand mit dem Rücken direkt vor seinem Fenster. Er hielt ein Foto in der Hand, blickte immer wieder darauf und dann auf Passanten. Werdin mühte sich, das Foto zu erkennen. Es zeigte ihn. So hatte er ausgesehen vor zehn Jahren.
    Er hob den Koffer aus der Gepäckablage über seinem Kopf und ging langsam in den vorderen Teil des Zugs. Hinter sich hörte er die Türen schlagen. Polizisten stiegen ein, um die Abteile zu durchsuchen. Im Wagen hinter der Lok öffnete Werdin die Waggontür auf der falschen Seite und sprang aufs Nachbargleis. Einige Passanten vom Bahnsteig beobachteten ihn, sie tuschelten und lachten. Werdin stieg auf den Tender und bewegte sich nach vorne. Zwei rußgeschwärzte Männer starrten ihn an, als Werdin den Führerstand der Lok betrat. Es war heiß, es zischte und dampfte. Ein kleiner

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