Der 21. Juli
Heinrich Müller hatte eine Aufstellung führender Gestapobeamter angefertigt. Krause schätzte er als intelligent, wendig, durchsetzungsfähig und zäh ein, der beste Nachwuchsmann im Reichssicherheitshauptamt. Krause gehörte zu denen, die die Rote Kapelle ausgehoben hatten. Und Fritz und viele andere Kundschafter. Er hatte nicht die typische Gestapofresse, wie man sie ja nicht nur aus Karikaturen kannte. Er rauchte eine amerikanische Zigarette und sah aus wie ein schneidiger Kavallerieoffizier. Wie viele Genossen mochte der Mann auf dem Gewissen haben, der sich als ein schlagfertiger Gesprächspartner erwies, witzig und ironisch? Komisch, dachte Grujewitsch, ich müsste ihn hassen.
Die Tür öffnete sich, zwei SS-Männer traten ein, gefolgt von einer kleinwüchsigen, untersetzten Gestalt mit dem Gesicht eines Schulmeisters. Das hat er offenbar von seinem Vater geerbt, einem Lehrer. Himmler war nie Lehrer gewesen, auch wenn er sich als Erzieher seiner SS-Männer betrachtete. Nur als Hühnerzüchter hatte er sich versucht Schellenberg zog Grujewitsch kurz am Ellbogen von Krause weg, der bedauernd die Achseln hob.
»Reichsführer«, sagte Schellenberg, »ich freue mich, dass Sie gekommen sind. Unser Gast erwartet Sie schon.«
»Das freut mich, General Grujewitsch. Wie gefällt es Ihnen? Sind Sie gut untergebracht? Fehlt es Ihnen an etwas?« Himmler hatte Fürsorge in seine Stimme gelegt.
Grujewitsch erklärte, er sei zufrieden und freue sich, den Reichsführer wieder zu sehen. Die kleine Stadtrundfahrt habe ihm gut gefallen. Er bewundere die Aufbauleistung der Deutschen. Auch die Sowjetunion habe im Krieg gelitten, und sie müssten womöglich noch mehr Schäden beseitigen.
Himmler nickte nachdenklich. »Wir sollten unsere Erfahrungen beim Wiederaufbau austauschen. Sie haben mehr Rohstoffe und Arbeitskräfte als wir, wir haben, so glaube ich, die besten Ingenieure und Wissenschaftler der Welt. Dabei könnte doch etwas herauskommen. Sie sollten das Minister Berija einmal vortragen.«
Eine gute Idee, dachte Grujewitsch. Sie zeigte, wie zielstrebig die Deutschen ein Zusammengehen mit der Sowjetunion ansteuerten.
Himmler bat Grujewitsch, ihm zu folgen, weil er ihm einige weitere Gäste vorstellen wollte. So Albert Speer, der auch als Rüstungsminister Großes vollbracht habe. Die einzige Frau unter all den Herren war Leni Riefenstahl, die Schauspielerin und Regisseurin, die mit ihren Filmen über Olympia und zwei Naziparteitage berühmt geworden war.
»Schade, dass sie keine Kommunistin ist«, hatte Berija gesagt, als er Sieg des Glaubens und Triumph des Willens gesehen hatte.
Ein dicker, eher kleinwüchsiger Mann mit dem Gesicht eines genussfreudigen Kneipenwirts war der Nächste in der Reihe. Der Mann zog an seiner Zigarre und schaute Grujewitsch freundlich an. »So, Sie sind also der Bote aus Moskau. Ich sage Ihnen offen, mit den Wirtschaftsmethoden in Ihrem Land kann ich mich nicht anfreunden. Ich mag in Ihren Augen ein übler Kapitalist sein. Da haben Sie gar nicht Unrecht. Aber ich glaube fest daran, dass es allen Menschen nur in einer Marktwirtschaft gut gehen kann. Sie muss sozial abgefedert werden, damit die Schwachen nicht unter die Räder kommen.«
»Herr Minister«, sagte Grujewitsch, »ich glaube nicht, dass sich unsere Aufbauleistungen verstecken müssen hinter denen Deutschlands.«
Ludwig Erhard ließ seine Zigarre rot glühen. »Dem will ich nicht widersprechen. Wissen Sie, der Mensch kann auf Befehl reparieren. Aber gestalten auf Befehl kann er nicht.«
Erhard galt in Moskau als Befürworter einer Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten. Es war folgerichtig, Marktwirtschaft passt am besten zu Marktwirtschaft. Aber wie groß war Erhards Einfluss? Die Bevölkerung verband mit ihm und dem Reichskanzler den Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder, Himmler aber war der Retter.
Der Reichsführer hatte lächelnd den Dialog zwischen Erhard und Grujewitsch verfolgt. »So ist das in unserer neuen Demokratie«, warf er ein. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie oft es Streit gibt. Das war übrigens unter dem Führer nicht anders, aber er war die letzte Instanz. Heute glauben mehrere Herren, sie seien die letzte Instanz.« Himmler lachte. »Obwohl es so etwas natürlich nicht geben kann.«
Erhard schmunzelte. Vielleicht dachte er gerade, Himmler kann Kommunisten einsperren, aber von Wirtschaft hat er keine Ahnung. Die Wirtschaftsbetriebe der SS führt er glücklicherweise am langen Zügel und
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