Der 21. Juli
lässt sie von Fachleuten leiten, wie diesen Herren Pohl und Westenbühler, die seinerzeit auch die KZ regierten. »Ach ja«, sagte Erhard gelassen, »Streit gehört dazu, aber man muss die nationalen Ziele im Auge behalten.«
Wieder öffnete sich die Tür. Ein Mann mittlerer Größe mit wenigen weißen Haaren auf dem Kopf, schmaler Schnurrbart unter einer kräftigen Nase, die Ohren oben wie unten spitz zulaufend, mit lebhaften, fast feurigen dunkelbraunen Augen: der Reichskanzler. Begleitet wurde Goerdeler von einem schmalen jungen Mann, der eine Aktentasche trug. Goerdeler steuerte mit festem Schritt Grujewitsch an. Noch im Gehen streckte er seine Hand aus. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er mit energischer Stimme, sie verriet den Tatmenschen.
Grujewitsch kannte die denkwürdigen Umstände, die Goerdeler vom Abstellgleis in die neue Reichskanzlei gebracht hatten. Grujewitsch hatte sich in den letzten Monaten eingearbeitet ins Seelenleben der Deutschen. Er ließ GestapoMüller aus Sibirien nach Moskau zurückverlegen, päppelte ihn auf und quetschte ihn aus. Kaum einer kannte Himmler und die SS besser als Müller. Und er kannte auch Goerdeler. Müller hatte geredet und geredet, um nicht wieder zurückgebracht zu werden in die Kälte des GULag.
Goerdeler war ein seltsamer Mann, kein Demokrat, Kämpfer gegen die Weimarer Republik, anfänglich Anhänger Hitlers, doch dann folgte die Ernüchterung über den Führer. Schon im Widerstand setzte er sich dafür ein, die »Judenfrage« durch Auswanderung zu lösen statt durch Mord. Hitlers Kriegsbeute wollte er auch nach des Führers Sturz behalten.
Unter den Offizieren der Opposition war nur der ehemalige Generalstabschef des Heeres Ludwig Beck zeitig auf Distanz gegangen zur braunen Diktatur. Er gehörte zu den Antreibern der deutschen Aufrüstung, war kein Gegner des Kriegs, aber von Hitlers Vabanquespiel um die Tschechoslowakei 1938, in dem er die Vorboten des Untergangs erkannte.
Stauffenberg, Stieff, Oster und viele andere hatten Hitler begeistert unterstützt, einige waren sogar verwickelt in den Vernichtungskrieg gegen Juden und Slawen. Erst die drohende Niederlage hatte sie in die Opposition getrieben. Hätte Hitler weiter gesiegt, die meisten Vertreter des Widerstands wären ihm gefolgt, auch durchs Blutbad im Osten, dachte Grujewitsch.
Und doch war es mutig, den Staatsstreich zu wagen gegen die Übermacht der Führertreuen in Armee und Volk, von der SS nicht zu sprechen. Grujewitsch war überzeugt, der Kompromiss zwischen den politischen und militärischen Kräften, die Nationale Versöhnung, die sich schon am 21. Juli fast spontan herausbildete, war ein Glück für die Verschwörer und nur dem Umstand geschuldet, dass die Deutschen darauf hofften, für einen radikalen Wandel belohnt zu werden. Diese Hoffnung und der Druck durch die Anti-Hitler-Koalition hatte das Gewicht der Verschwörer erhöht. Aber die Feinde hielten an der bedingungslosen Kapitulation fest. Hätten wir damals die Verständigung mit den Deutschen gesucht, wäre uns Minsk erspart geblieben, dachte Grujewitsch. Hätte Berija damals schon die Macht dazu gehabt, hätten wir Frieden gemacht mit den Deutschen.
Welche Rolle spielt er wirklich?, fragte sich Grujewitsch, als er vor Goerdeler stand. Ist er Frühstücksdirektor oder Kanzler? Hat er Macht? Wie versteht er sich mit Himmler, wie mit Witzleben und den anderen Militärs?
Himmler stieß dazu. »Ist das nicht ein erfreulicher Fortschritt, Herr Reichskanzler?«, sagte er. »Endlich kommen die Dinge in Bewegung.«
»Und Sie sind der große Beweger.« Goerdeler lachte. Er wandte sich Grujewitsch zu. »Sie fragen sich gewiss, wie stabil unsere Regierung ist. Oder, besser, wie ich mit Herrn Himmler auskomme.«
Grujewitsch erschrak fast über diese Offenheit. Aber gleich wurde ihm klar, Goerdeler war oder tat so unverblümt, um Moskaus Boten zu beeindrucken. Das Zeichen hieß: Wir sind stark, unsere Regierung hält zusammen. Wir lassen uns nicht auseinander bringen.
»Was die Vergangenheit betrifft, so bin ich mit unserem Innenminister nicht immer einer Meinung, um es vorsichtig auszudrücken. Was viele aber nicht wissen: Als wir uns Gedanken machten über eine neue deutsche Regierung, vor dem Tod unseres Führers also, da haben einige aus unserem Kreis Verbindung aufgenommen zum Reichsführer-SS. Wir hatten den Eindruck, Gehör gefunden zu haben. Jedenfalls konnten wir weiterarbeiten.«
Himmler nickte. »Für mich war es
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