Der 21. Juli
aufgegangen.
»Und wenn Himmler tot ist, was dann?«
»Es ist fast wie 44«, erwiderte Rettheim. »Es gibt in der Wehrmacht ein paar, die wollen Himmler loswerden. Andere halten ihn für den Retter des Vaterlands, was er in gewisser Hinsicht ja ist. Die meisten lehnen Mord ab.«
»Und wenn Himmler tot ist, folgt ihm Kaltenbrunner, das hast du selbst gesagt. Was wäre damit gewonnen?«
»Kaltenbrunner ist nicht der Retter des Vaterlands. Die Leute mögen ihn nicht. Für sie ist er die alte Gestapo. Außerdem gibt es in der SS Kräfte, die mit uns zusammenarbeiten. Sie wollen Himmler loswerden und Kaltenbrunner am liebsten gleich mit. Sie setzen auf Schellenberg. Sie hoffen, dass Schellenberg die Polizeigewalt abtritt ans Innenministerium. Wenn die Polizeigewalt nicht mehr der SS untersteht, dann muss man versuchen, die WaffenSS der Wehrmacht einzugliedern. Dafür wären die Generale zu haben. Am Ende soll die SS eine Privatorganisation sein. Sollen die sich doch mit den alten Germanen herumschlagen.«
»Was für ein toller Plan!« Werdin musste lachen. »Die SS verzichtet freiwillig auf Macht? Das glaube ich nicht. Ihr spinnt.«
»Klar«, sagte Rettheim. »Wären wir nicht verrückt, würden wir kein zweites Attentat planen.« Es war stickig geworden in der Küche. Werdin stand auf und öffnete ein Fenster. Sie schwiegen aus Furcht, ein Nachbar könnte ihr Gespräch belauschen. Dann fragte Rettheim: »Wie heißt sie?«
»Irma.«
»Wegen Irma also der Affentanz!«
Werdin zuckte mit den Achseln.
Rettheim stemmte sich am Küchentisch hoch und schloss das Fenster. Es war eine flüssige Bewegung.
»Der Clou vom Ganzen ist mir gerade eben eingefallen. Wir machen dich noch einmal zum kommunistischen Spion. Moskaus Attentat auf unseren geliebten Reichsführer, perfiderweise während er gerade den Staatssicherheitsminister empfängt. Dessen Konkurrenten im Präsidium missgönnen Berija den großen Coup und lassen Himmler abknallen.«
»Du bist bekloppt«, sagte Werdin. »Das glaubt doch kein Mensch.«
»Es reicht, wenn ein paar es glauben. Und es wird vielleicht dazu beitragen, den Machtkampf in Moskau zu entscheiden, gegen Berija. Und wenn er dann so entschieden ist, werden die Leute es erst recht glauben.«
»Du solltest mit deiner Phantasie bei Schellenberg anheuern«, sagte Werdin.
»Nein, nein. Überleg mal! Wir reaktivieren dich als kommunistischer Spion. Früher KPD, dann Moskauer Agent. Das kriegen wir hin. Jedenfalls so weit, dass die in Moskau sich richtig ärgern und die in Berlin unsicher werden. Voraussetzung ist allerdings, dass dir die Flucht gelingt. Wenn sie dich fangen, prügeln sie dich weich.«
»Ich dachte, du haust mit ab.«
»Bei dir ist es mir zu staubig. Und vor Schlangen habe ich Angst. Nein, ich will das Theater hier mitkriegen und, wenn es geht, mitmachen. Ich werde bezeugen, dass du ein kommunistischer Agent bist.«
»Und dann bist du fällig.«
»Das lass mal meine Sorge sein. So schwach sind wir auch nicht. Und wenn es schief geht, habe ich endlich Zeit, mich mal gründlich mit dem Parteigenossen Goebbels zu unterhalten.«
»Der sitzt immer noch?«
»Klar.« Rettheim grinste. »Angeblich schreibt er an einem Erinnerungsbuch über Adolf.«
V.
A lle waren sie an diesem Morgen zum Flughafen Tempelhof gekommen: Goerdeler, Himmler, Leber, Erhard und viele weitere Würdenträger des Deutschen Reichs. Grujewitsch stand neben Schellenberg. Keine Wolke verdeckte die Sicht. Silbern glänzte die Maschine am Horizont. Berija kam. Das Flugzeug setzte zur Landung an, Grujewitsch blickte sich um. Goerdeler schaute missmutig auf die Landebahn. Bei Himmler glaubte Grujewitsch ein Glänzen in den Augen zu erkennen. Schellenberg stand ruhig da, das leise Klopfen der Ledersohle seines Reitstiefels verriet die Nervosität. Kaltenbrunner starrte stumpf auf den Betonboden. Er war für Grujewitsch der undurchsichtigste SS-Führer. Er sagte kaum etwas, war Himmlers Schatten. Sein Gesicht verriet Freude am Leid seiner Feinde.
Es staubte auf der Landebahn, als das Sonderflugzeug aus Moskau aufsetzte. Es rollte zu der Stelle, wo die Führer des Reichs warteten. Die Leiter wurde an die Ausstiegsluke gerollt, die Tür öffnete sich. Ein kleiner Mann mit runden Brillengläsern betrat die oberste Stufe. Die Augen der Wartenden richteten sich auf ihn. Er war da.
Wie selbstverständlich stellte sich Himmler als Erster an die Treppe und reichte Berija die Hand. Sie sahen sich ernst in die Augen, die Hände
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