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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Reitbergs Dienstzimmer in der Prinz-Albrecht-Straße saß.
    »Klar«, sagte Reitberg. »Das Schwein ist 45 kurz vor Toresschluss abgehauen. So was vergisst man nicht. Glücklicherweise kommt das nicht so oft vor.«
    »Lebt er noch?«
    »Keine Ahnung. Wir haben eine Zeit lang geglaubt, dass er wie Müller in Moskau gelandet ist. Aber dann haben wir uns seine Biografie noch einmal vorgenommen. An Stalin hat er wohl auch nicht mehr geglaubt.«
    »Ihr hattet doch einen ehemaligen Genossen von ihm aufgetan.«
    »Ja, ich erinnere mich dunkel«, sagte Reitberg.
    Er nahm den Telefonhörer ab, drückte einen Knopf und sagte: »Die Akte Werdin.«
    Die Akte war nicht dick. Reitberg blätterte in den Papieren und nickte: »Ich entsinne mich. Der hatte eine zähe Karriere, Beförderung nur, wenn es nötig war. Bis 1942, da hat er in Rotterdam ein britisches Agentennest ausgehoben, Operation Zigarre. Hat dafür sogar das EK zwo gekriegt. Hat da mit einer Quelle zusammengearbeitet, die auch heute noch für uns tätig ist, Pieter Mulden. Komische Type.« Reitberg blätterte weiter. »Der Mann hat exzellente Dienstbeurteilungen, nur mit der Weltanschauung haperte es. Aber da war er nicht der Einzige. Und hier ...« - Reitberg zog ein Papier aus der Akte und reichte es Krause, nachdem er es einige Sekunden betrachtet hatte - »hier haben wir was ganz Interessantes. Das ist zwar nicht einzigartig, aber selten.«
    Krause erkannte einen Fragebogen Mitgliedschaft in anderen Parteien vor der Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Bewegung. Eingetragen war: KPD.
    »Das hat es gegeben«, sagte Reitberg. »Und oft waren das die Besten. Die standen unter dem Druck, sich allen beweisen zu müssen.
    Allerdings war der Reichsführer da etwas zurückhaltend bei Beförderungen. Was erklärt, warum es Werdin trotz der glänzenden Beurteilungen nur bis zum Sturmbannführer gebracht hat.«
    Reitberg blätterte weiter. »Das gibt’s nicht«, sagte er plötzlich.
    »Was ist los?«, fragte Krause.
    »Hier fehlen Seiten in der Akte. Laut Inhaltsverzeichnis sollen es 167 Blatt sein, es sind aber nur 112, 55 Seiten fehlen. Die Akte bricht im März 1944 ab. Und keine Angabe darüber, wer die Seiten entnommen hat.«
    »Und nun?«, fragte Krause.
    »Jetzt mache ich erst mal die Kameraden im Archiv lang. Nur fürchte ich, es wird nichts nutzen.«
    ***
    Anna weinte. Sie hatten sich zum ersten Mal gestritten. Dabei hatte der Abend so schön begonnen. Boris Grujewitsch kam früh vom Dienst, sie schliefen miteinander, zuerst ruhig und zärtlich, um dann immer heftiger zu werden. Noch im Bett beschlossen sie, gemeinsam auszugehen. Grujewitsch kannte ein Lokal in der Nähe des Sokolnikiparks im Norden Moskaus, wo die Gefahr nicht so groß war, von Genossen seines Ministeriums mit einer jungen Frau gesehen zu werden, die nicht seine Gattin war. Die Genossen waren manchmal prüde, außer dem Genossen Berija natürlich.
    Es war ein gemütliches kleines Restaurant mit wenigen Tischen und weißen Wänden, wo sie dampfenden Borschtsch mit Weißbrot aßen und eine Flasche trockenen Rotwein tranken. Anna staunte: »So gut habe ich noch nie gegessen.« Sie vertilgte eine verblüffende Menge, als hätte sie wochenlang gehungert. »Wenn du wüsstest, was für einen Fraß die uns am Konservatorium vorsetzen. Meistens gibt es Suppe oder einen Brei aus irgendwas. Jetzt werde ich sparen und jeden Monat einmal hier essen gehen.«
    »Jeden Monat einmal ist gut«, sagte Boris. »Aber ohne mich wird’s kaum gehen.« Grujewitsch legte seine Brieftasche auf den Tisch und entnahm ihr einen kleinen Block. »Das sind Kupons meines Ministeriums. Die sind gewissermaßen eine eigene Währung. In diesem Restaurant kann man nur mit diesen Kupons bezahlen.«
    »Dann besorge ich mir eben Kupons«, sagte Anna.
    Grujewitsch lachte. »Die Kupons kriegt man nur, wenn man im Staatsapparat arbeitet, und da auch nur die höheren Tiere.« Er imitierte leise das Gebrüll eines Löwen.
    »Das ist ungerecht«, schimpfte Anna. »Ich dachte, bei uns sind alle gleich.«
    »Das sind sie auch, aber stell dir vor, Staatsfunktionäre könnten nicht arbeiten, weil sie Schlange stehen müssten vor Läden oder Restaurants.«
    »Stell dir vor, ich könnte nicht studieren«, erwiderte Anna schnippisch. »Stell dir vor, die U-Bahn würde nicht fahren. Stell dir vor, die Kinokassen hätten geschlossen. Stell dir vor, es gäbe keinen Strom. Kriegen die U-Bahn-Fahrer, die Kinokassiererin und die Arbeiter in den

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