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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Stirn des Jungen ist plötzlich ein kleines Loch, Blut sickert, die Augen des Jungen brechen. Aber er fällt nicht, so wenig wie die Frau. Irma im Boot auf dem Rhein. Sie schaut ihn an, wird plötzlich von einer unsichtbaren Faust getroffen, strafft sich und fällt ins Wasser wie ein Brett. Ihre Haare lösen sich, sie sinkt weg. Leuchtraketen am Himmel. Er springt hinterher, taucht, hastet an die Oberfläche, atmet, taucht, viele Male. Er findet sie nicht.
    Plötzlich erscheint Crowford, er lächelt feist. »Sie werden es schaffen, Werdin«, sagt er. Dulles tritt hinzu: »Es hängt viel davon ab.«
    Dann das narbenzerfurchte Gesicht Kaltenbrunners: »Wir kriegen dich. Die SS verzeiht nie!« Fackeln bei Kaltenbrunners Einführung als Chef des Reichssicherheitshauptamts, nachdem tschechische Partisanen im britischen Auftrag Heydrich ermordet hatten. Die Angst kommt wieder: vor der Enttarnung, vor den Fragen, vor der Folter. Kaltenbrunners Fresse mit schiefen braunen Zähnen schreit ihn spuckend an: »Verräter! Du hast uns an die Russen verkauft, dann an die Amerikaner! Du wirst sterben!« Dulles fordert: »Töten Sie Himmler!«
    Irmas Gesicht, ihr Lachen. Sie wendet sich ab, geht zum Haus, ein Schuss peitscht, Irma fällt ins Wasser. Es platscht, dann ist sie weg.
    Das Jungengesicht grinst. Überlegen schauen die Augen durch die Brillengläser. »Das haben Sie ja geschickt eingefädelt, Sturmbannführer«, sagt er. »Aber wir sind besser. Ich habe Sie gemocht, Sie hätten was werden können. Was Besseres als Füllmaterial für eine Urne.«
    Schellenberg lächelt fortwährend. »Schade«, sagt er und drückt auf einen Knopf unter der Schreibtischplatte. »Wirklich schade.«
    Wieder Irma. Sie öffnet ihre Bluse und greift im Rücken nach dem Verschluss des Büstenhalters. »Komm«, sagt sie. Draußen Blitz und Donner, weißes Licht, gelbes Licht, der ohrenschmerzende Knall einer nahe explodierenden Sprengbombe, das Klirren der Splitter an den Ruinenwänden, in der Ferne das Brummen der viermotorigen Bomber, schlagartige Dunkelheit zwischen Blitzen, dann der Umriss eines in den Himmel ragenden Balkens in einem zerstörten Nachbarhaus, den ein Feuer als Schatten an die Zimmerwand wirft. Sein Gesicht taucht zwischen ihre Brüste. Irma streichelt seinen Kopf.
    Der Junge steht vor ihm, schaut ihm ins Gesicht. Will etwas fragen, kann es nicht. Ein kleines Einschussloch ist plötzlich auf seiner Stirn, er öffnet den Mund, Blut strömt heraus, ein Rinnsal aus beiden Mundwinkeln. Irma eilt herbei, sie fällt und liegt reglos am Boden. Dann verschwindet sie im Wasser, taucht wieder auf, bleich, mit offenem Mund. Sie will etwas sagen, kann es nicht.

ZWEITES BUCH
- 1944/1945 -

I.
    K nut Werdin hatte schlecht geschlafen, eigentlich gar nicht. Den größten Teil der Nacht hatte er im Luftschutzkeller verbracht. Die Engländer legten Wert darauf, dass er und Millionen andere Deutsche unausgeschlafen zur Arbeit gingen, wenn die Bomben sie nicht verbrannten, zerfetzten oder in verschütteten Kellern ersticken ließen. Churchill revanchierte sich für die deutschen Bombenangriffe auf Warschau, Rotterdam, London und Coventry. Werdin hasste die Bomber, nicht die Engländer oder die Amerikaner, die dem Zerstörungsgeschäft tagsüber nachgingen, auch wenn Goebbels herumschrie, es seien Terrorangriffe. Das sind sie, genauso wie unsere. Nur haben wir mit dem Terror angefangen. Viele Deutsche in den Luftschutzkellern wollten das nicht sehen, Werdin erlebte täglich, wie der Hass gegen die Feinde durch das Dauerinferno nur wuchs.
    Müde setzte Werdin sich an seinen Schreibtisch. Erstaunlich, dass die Zentrale des Sicherheitsdienstes in der Wilhelmstraße 102 noch nicht zerstört worden war. Sie war an manchen Stellen beschädigt, knochige KZ-Häftlinge mühten sich, das Gebäude in Stand zu halten. Sonst lief im SD alles, als gäbe es keine Bomben. Auf dem Schreibtisch wartete ein Bericht auf ihn, sein V-Mann in der Wehrmacht hatte an einer Sitzung teilgenommen von Offizieren und Zivilisten, die sich abwandten vom Führer. Der Endsieg liegt in weiter Ferne, dachte Werdin. Im Osten schlägt die Rote Armee unsere Divisionen zu Klump, in Italien rücken die Alliierten langsam vor, es ist nur eine Frage der Zeit, wann Amerikaner und Engländer den großen Coup starten, die Invasion an der Atlantikküste. Je mieser die Lage aussieht, desto mehr Leute kriegen das Muffensausen. Einige waren schon zu Zeiten der großen Siege gegen Hitler, andere

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