Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
erst, als die Siege aufhörten. Die einen respektierte Werdin, die anderen verachtete er.
    Mit Deutschland nehme es ein böses Ende, hatte Werdin vor sechs Wochen einen Major der Panzertruppen mit schwerer Zunge in der Alexander-Bar in der Kommandantenstraße dröhnen gehört. »An den Fronten kriegen wir was auf die Fresse, zu Hause werden wir in die Steinzeit gebombt. Unsere unbesiegbaren Tiger-Panzer werden aus der Luft abgeknallt oder bleiben einfach liegen. Ersatzteile? Die brauchen wir nicht, meint der größte Feldherr aller Zeiten wohl. Und Sprit? Was ist das? Unsere Panzer rollen durch den reinen Willen teutonischer Helden.« Als der Offizier aus der Bar wankte, folgte Werdin ihm in den Nieselregen. Dem Mann fehlte das rechte Bein, er ging auf Krücken. Die Verdunkelung erlaubte es Werdin, dem Major dicht auf den Fersen zu bleiben, aber er stolperte einige Male über Balken und Steine. Trümmer, dachte Werdin, bald ist ganz Deutschland in Trümmern. Er verkniff sich einen Fluch, als sein Schienbein an den Pfeiler eines Zauns knallte, den eine Bombe auf die Straße gesprengt hatte. Hin und wieder begegneten ihnen Fahrzeuge mit verklebten Scheinwerfern, die nur einen schmalen Lichtstrahl ausschickten, den die Nässe aber gleich schluckte.
    Der Major torkelte auf seinen Krücken zum U-Bahnhof Spittelmarkt. Erstaunlich, dass er den Weg fand. Plötzlich, wie aus dem Nichts, standen zwei Kettenhunde vor ihm. Sie grüßten zackig. Der eine sagte: »Ihre Papiere, Herr Major!« Werdin erschrak. Wenn der Panzerfritze ein unvorsichtiges Wort sprach, war er fällig, die Feldgendarmen der Wehrmacht mit ihren lächerlichen Blechketten um den Hals waren mindestens so scharf wie die Gestapo. Der Major nestelte ungeschickt an seiner Uniformjacke herum, endlich fand er sein Soldbuch. Er reichte es dem größeren der beiden Feldgendarmen, der die Eintragungen im Licht einer gedämpften Taschenlampe sorgfältig studierte. Dann gab er dem Panzermann das Buch zurück: »Einen schönen Abend noch, Herr Major!« Der Major wankte weiter zum Bahnhof. Die Feldgendarmen salutierten lässig, als sie Werdins SD-Uniform erkannten.
    Der Panzermajor klemmte sich beide Krücken unter die linke Achsel und zog sich mit dem rechten Arm am Treppengeländer zu den Geleisen hinunter. Ein Wunder, dass er nicht hinfiel. Mit seinen Krücken quälte er sich den Bahnsteig auf und ab. Die wenigen Menschen, die gleichfalls auf die U-Bahn warteten, beachteten den betrunkenen Invaliden nicht. Sie hatten genug Sorgen, was sollten sie sich Gedanken um andere machen? Seit Stalingrad kannte man das Bild torkelnder Soldaten. Werdin sah stumpfe Augen in erschöpften Gesichtern, das waren nicht mehr die Leute, die beim Sieg über Frankreich auf den Straßen getanzt hatten.
    Sie mussten einige Male umsteigen, Hochbahngleise waren zerstört. Im Bahnhof Neulichtenberg stieg der Major aus. Werdin folgte ihm in sicherem Abstand, obwohl er kaum befürchten musste, dass der benebelte Offizier ihn entdeckte. Laut klang das Tack-tack-tack der Krücke durch die nasse Nacht. Auf der Giselastraße wich der Major wankend einer schweren Mercedes-Limousine aus, die sich kaum hörbar in Schleichfahrt ihren durch Tarnlichter schwach erhellten Weg suchte. Der Major bog rechts ein, »Sophienstraße«, las Werdin auf dem Straßenschild. Plötzlich, als hätte er eine Eingebung, hielt der Major, lehnte seine Krücke gegen einen Holzzaun, stützte sich mit beiden Händen ab und übergab sich laut würgend. Er fand in seiner Hosentasche ein Taschentuch und wischte sich den Mund ab. Zu früh, erneutes Würgen und Brechen. Der Mann stand eine Zeit starr an den Zaun gelehnt, das Gesicht dem Boden zugeneigt. Werdin wartete in der Giselastraße. Wenn der Mann zusammenklappte, war Werdins Plan gescheitert. Der Major klappte nicht zusammen, sondern setzte langsam seinen Weg fort. An der Ecke Sophienstraße/Wönnichstraße erreichte der Major ein vierstöckiges Mietshaus. Er schloss die Haustür auf und verschwand im Treppenhaus.
    Werdin wartete vor dem Haus und beobachtete die Fenster. Er brauchte nicht zu rätseln, welche Wohnung dem Betrunkenen gehörte, denn der verletzte in seinem Suff für einen Moment den Verdunklungsbefehl, in der dritten Etage, rechts vom Treppenhaus, flackerte das Licht auf und verlosch gleich wieder. Werdin notierte sich die Adresse und die Lage der Wohnung und machte sich auf den Heimweg.
    Noch vor dem Bahnhof Neulichtenberg überraschte ihn das Geheul der Sirenen,

Weitere Kostenlose Bücher