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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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er eilte in einen Luftschutzbunker. Panik brach aus, als eine schwere Sprengbombe dicht neben dem Schutzraum detonierte, sie hatten es auf den Bahnhof abgesehen. Die Bunkermauern zitterten, Stahlträger ächzten, das Licht ging aus, Staub wirbelte auf, Werdin hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Auch in dieser Nacht wurde es nichts mit dem Schlaf.
    Am nächsten Morgen rief er seinen Stellvertreter, Obersturmführer Reinhold Gottlieb, zu sich. Werdin schätzte ihn schon deshalb, weil er die Spötteleien wegen seines Namens gelassen über sich ergehen ließ. Zu den feineren Varianten zählte es, den Namen nur mit einem T zu schreiben, eine Anspielung auf Himmlers höheres Wesen »Got«. Gottlieb betrat Werdins Büro, sagte nur »Morgen« und fläzte sich in den Besucherstuhl.
    »Morgen«, erwiderte Werdin. »Pass auf, eine tolle Geschichte. Ich habe gestern in der Alexander-Bar ein Bier gezischt. Plötzlich fing an einem Tisch hinter mir ein besoffener Panzermajor an, lautstark über die Endsiegparolen unseres Propagandaministers herzufallen. Glatte Wehrkraftzersetzung, auch im Suff. Es würde ihm nichts nutzen, dass er unserem Führer schon ein Bein geschenkt hat. Wenn ich den unserem Lieblingskameraden« - Werdin zeigte mit dem Daumen in nordwestliche Richtung, zur Prinz-Albrecht-Straße, wo das Büro des Gestapochefs Heinrich Müller lag - »melden würde, dann ...« Werdin fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. »Der würde den Major sofort vors Kriegsgericht stellen lassen.«
    »Klar«, sagte Gottlieb.
    »Ich habe mir die Adresse notiert und schon jemanden hingeschickt, damit wir den Namen haben. Ich glaube, wir haben gestern Abend einen neuen V-Mann gewonnen. Der weiß nur noch nichts von seinem Glück.«
    Sirenen heulten.
    »Scheiße!«, sagte Werdin.
    Im Luftschutzkeller fanden sie eine Ecke, in der sie ungestört weiterreden konnten. Die meisten Kameraden mühten sich jetzt, Mut und Gelassenheit zu zeigen, da hatten sie kaum Ohren für anderes.
    Die Flak schoss. Vom Westen her näherten sich mit dumpfem Grollen die Bombeneinschläge.
    »Da kriegen wir Ärger mit der Wehrmacht.« Gottlieb flüsterte fast.
    »Wir sind als Amt VIB für Westeuropa zuständig, nicht für das Heer.«
    »Na und«, erwiderte Werdin. »Wir interessieren uns eben für das, was die Helden auf Ketten über Westeuropa wissen. Da gibt’s bald die Invasion, oder etwa nicht?«
    »Du glaubst, du kommst mit so einer an den Haaren herbeigezogenen Geschichte durch?«
    »Eine Weile schon. Wenn die das überhaupt merken. Ist doch besser, als den guten Mann an die Wand stellen zu lassen. Von mir kriegt der Müller nichts, nicht mal den kleinen Finger, wenn er absäuft. Das ist ein Schinder, es ist ihm scheißegal, wie viele verrecken, Hauptsache, er kann sich lieb Kind machen beim Reichsführer. Schellenberg kann den Idioten auch nicht ausstehen, wenn es Ärger gibt, wird er uns decken.«
    Der Bombenteppich rückte näher. Das Grollen ging in Knallen über. Der Boden des Bunkers zitterte in Wellen, die in immer kürzeren Zeitabständen auf die Explosionen folgten.
    »Und was versprichst du dir von dem Typen?« Werdin erkannte Staub auf Gottliebs Haaren.
    »Ich ...« Werdins Antwort erstarb in einem dumpfen Knall, seine Ohren schmerzten, er spürte Druck in den Nebenhöhlen. Staub wirbelte auf, an der Wand zur Straße hin knirschte es. Das Licht erlosch. Einer schrie: »Ich will nicht sterben!«
    »Halt’s Maul, du Feigling!«, brüllte ein anderer.
    Kerzen wurden angezündet, Millionen von Staubkörnchen brachen ihr Licht. Husten.
    Die Kette der Explosionen zog weiter. In einer Ecke pfiff einer leise. Es klang wie: »Noch mal davongekommen.« Sie saßen noch eine Weile im Staub. Dann heulten die Sirenen zur Entwarnung.
    »Wir kommen nicht raus!«, rief einer. »Der Eingang ist verschüttet.« Die Decke knirschte. Gottlieb schaute nach oben, aber er konnte nichts sehen, das Kerzenlicht durchdrang den Staub nicht. Werdin sah die Angst in Gottliebs Augen dicht vor ihm. So sehen meine Augen jetzt auch aus, dachte er. Er spürte Druck im Magen, der Darm wurde unruhig, kurz kam Panik auf, weil er sich hier im Keller nicht entleeren konnte.
    Am Eingang pochte es. Einige hofften, draußen gehört zu werden. Dann kratzte es, sie hatten einen Spaten gefunden, der für solche Fälle im Bunker lag. Werdin zweifelte, dass ein Spaten genügen würde, die Bombe hatte vermutlich zu viel Geröll in den Kellereingang gedrückt.
    Wie lange waren sie schon

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