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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Dann rief ein Adjutant nacheinander die Namen der Auszuzeichnenden auf, sie traten vor, damit der General ihnen den Orden an die linke Brustseite heften konnte. Jedem gab er die Hand, dankte für den Dienst am Vaterland, und jeder Ausgezeichnete antwortete stolz: »Ich diene der Sowjetunion!«
    Am Tag nach der Ordensverleihung wurde Grujewitsch zu Lawrentij Berija befohlen, schon morgen sollte er sich beim Chef des NKWD melden. Als er es am Abend Gawrina erzählte, sah er, wie sie zusammenzuckte: »Ich habe Angst, Boris«, sagte sie.
    »Kein Grund, sie werden mich befördern. Oder mir eine andere Aufgabe geben. Oder beides.«
    »Und wenn es gefährlich wird.«
    »Gefährlicher als bisher kann es nicht werden.«
    Berija winkte Grujewitsch zu sich, als dieser in strammer Haltung an der Tür Meldung machte. »Guten Morgen, Genosse Grujewitsch, setzen Sie sich zu mir.« Er wies auf einen bequemen Sessel. »Ich habe den Bericht von Ihrem Einsatz in der Ukrainischen Sowjetrepublik ausführlich studiert. Sie haben ein neues Kapitel in der ruhmreichen Geschichte des NKWD geschrieben. Die Sowjetmenschen sind stolz auf Sie.«
    »Ich diene der Sowjetunion«, antwortete Grujewitsch. Er wollte sagen, dass der Artikel in der Prawda übertrieb, er las sich so, als hätten sie eine Division der Partisanen besiegt, es waren ein paar Dutzend gewesen. Aber Grujewitsch spürte, wie seine Stimme versagte.
    »Nun seien Sie nicht so förmlich, Boris Michailowitsch.«
    »Jawohl, Genosse Minister!«
    Berija lächelte. Nicht einmal er selbst konnte die Aura seiner Macht durchbrechen. »Ich habe dem Genossen Stalin von Ihrer Heldentat berichtet. Der Genosse Stalin hat gesagt: Weil wir solche kommunistischen Kämpfer haben wie Grujewitsch, werden wir die Faschisten besiegen. Dann hat mir der Genosse Stalin befohlen, Sie mit sofortiger Wirkung zum Major zu befördern.«
    Vielleicht habe ich das Gefecht unterschätzt? dachte Grujewitsch. Wenn selbst der Genosse Stalin es so bedeutend findet.
    »Boris Michailowitsch, ich habe eine Aufgabe für Sie. Sie kommen hier ins Ministerium und werden stellvertretender Leiter unserer Kundschafter. Der Leiter dieser Abteilung, der Genosse Aleinikow, wird alt, und bald werden wir seine Position neu besetzen müssen. Schauen Sie sich bis dahin um, studieren Sie die Kampfesweise unserer Tschekisten.«
    »Danke, Genosse Berija, darf ich eine Bitte äußern?« Grujewitsch sah seine linke Hand leicht zittern.
    Berija nickte.
    »Darf ich mir’s überlegen? Sehen Sie, Genosse Berija, ich habe gelernt, im Feld zu kämpfen gegen die Partisanen und gegen die Deutschen ...«
    Berija lächelte: »Ich verstehe Sie gut, Major Grujewitsch, auch ich musste erst lernen, dass der Krieg im Büro entschieden wird, nicht auf dem Feld. Wie viele Schlachten haben die Deutschen gewonnen? Wie viele Sowjetsoldaten sind gefallen? Und doch haben die Hitlers und Himmlers uns nicht besiegt.
    Warum? Weil der Genosse Stalin in seinem Arbeitszimmer im Kreml den Gegenschlag geplant und geführt hat. Und wir haben ihm dabei geholfen. Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis, der Genosse Schukow, der unter der Leitung des Genossen Stalin die Deutschen nach Westen treibt, wollte immer an die Front, aber der Genosse Stalin hat gesagt: Wir brauchen Sie hier in Moskau. Sie sind kein Grenadier, Genosse Schukow. Und der Genosse Schukow hat es eingesehen. So lernen wir alle vom Genossen Stalin, und so werden auch Sie vom Genossen Stalin lernen, Boris Michailowitsch.«
    Schon am nächsten Tag sollte Grujewitsch sich melden bei Generalleutnant Aleinikow, dem Leiter der Auslandsspionage im NKWD. Nun gehöre auch ich zu den grauen Mäusen, dachte Grujewitsch, als er die Pforte der Lubjanka passiert hatte. Ein Soldat der NKWD-Miliz führte ihn in den vierten Stock, zum Vorzimmer des Generals. Darin saß ein Oberleutnant: »Gut, dass Sie schon da sind, Genosse Major. Der Genosse General erwartet sie. Gedulden Sie sich einen Augenblick.«
    Grujewitsch stand im Vorzimmer und betrachtete die Wände. Plakate warnten vor Saboteuren und Spionen, Soldaten von NKWD-Sondereinheiten mit heroischem Antlitz besiegten finstere Rebellen gegen die Sowjetmacht. Die Ukrainer, die er besiegt hatte, hatten wie Bauern ausgesehen, nicht wie Fratzen, dachte Grujewitsch. Warum muss man seine Feinde kleiner machen, als sie sind? Die Partisanen hatten zäh gekämpft, und sie legten sich mit Wehrmacht und Roter Armee gleichzeitig an, damit die Ukraine ein eigener Staat wurde. Ihr

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