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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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zwei Karren. Er hatte schon mehrfach solche Trupps gesehen, die vor allem eingesetzt wurden, um Blindgänger unschädlich zu machen. Gefährlicher als an der Front. Zacher fing den Blick eines Alten auf, stumpf, zerschlagen, ein roter Winkel an der blau gestreiften Jacke, die um einen dürren Körper flatterte, Holzschuhe. Der Mann hatte keine Kraft mehr. »Hat der Führer doch noch eine Aufgabe für die Verräter gefunden«, sagte der Obergefreite. Er grinste. Dann machten die KZ-Häftlinge Platz, sie konnten weiterfahren. Als sie durch Mahlsdorf kamen, schoss es Zacher wie ein Blitz durch den Kopf. »Sie setzen mich in Biesdorf ab«, sagte er dem Fahrer neben sich.
    Der schaute kurz zu ihm rüber, Zacher sah seine Verblüffung. »Aber Sie wollten doch ...«
    »Setzen Sie mich in Biesdorf ab, ich habe dort noch etwas Dringendes zu erledigen.« Im Ministerium wartete sowieso niemand auf ihn. Vielleicht aber in Biesdorf.
    ***
    Fritz kratzte sich am Kopf. Das tat er immer, wenn er nicht weiterwusste. Er starrte trübsinnig auf den Zettel, der vor ihm lag. Er hatte den Funkspruch gestern Nacht erhalten. Seitdem kriegte er die Augen nicht mehr zu. Er wollte nicht glauben, was er las. Eine Nacht und fast einen ganzen Tag hatte er nachgedacht, was der Befehl vom Direktor bedeuten mochte. Was steckte dahinter? Moskau erklärte nicht, Moskau befahl. Natürlich, es war gefährlich, lange Funksprüche durch den Äther zu jagen. Je länger Moskau funkte, umso leichter war es, die Sprüche zu entschlüsseln. Je länger Fritz funkte, desto eher würde er erwischt werden. Fritz war immer wieder durch Lichterfelde gelaufen und hatte Ausschau gehalten nach Peilwagen. Die Kastenwagen mit den großen Antennen auf dem Dach waren unübersehbar. Aber seit Monaten war ihm kein Peilwagen mehr aufgefallen. Entweder hatte die Gestapo keine mehr in Berlin, oder sie hatte sich einen Trick einfallen lassen. Nein, Fritz würde nicht leichtsinnig werden. Es ging schon viel zu lange gut. Funkdisziplin war der Schlüssel zum Überleben.
    Was sollte er Werdin sagen? Er mochte den SD-Mann, der ein so gefährliches Spiel spielte. Sie pflegten ein komisches Verhältnis. Paul Fahr hatte sie zusammengebracht. Werdin hatte nie nach Fritz’ wirklichem Namen gefragt, aber sich nie dagegen gewehrt, dass Fritz seinen Klarnamen kannte und sogar benutzte. Werdin traute ihm, weil Paul es ihm geraten hatte, so einfach war das. Sie waren schon komische Spione. Und nun der Befehl aus Moskau.
    Es klingelte an der Tür, Fritz schob den Zettel in die Hosentasche und öffnete, Werdin betrat grußlos die Wohnung.
    »Was ist los?«, fragte er. Er sah Fritz ins Gesicht und las die Verzweiflung in den Augen seines Genossen.
    Fritz antwortete nicht. Stattdessen winkte er Werdin ins Wohnzimmer, zog den Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn Werdin.
    HITLER MUSS AM LEBEN BLEIBEN. ICH BEFEHLE IHNEN, DEN STAATSSTREICH ZU VERHINDERN. GEBEN SIE DER GESTAPO EINEN VERDECKTEN HINWEIS AUF DIE VERSCHWOERER. BESTAETIGEN SIE DEN ERHALT DIESES BEFEHLS. MELDEN SIE VOLLZUG. DIREKTOR
    Werdin starrte regungslos auf das Papier in seiner Hand. Er fühlte den Schweiß auf seiner Kopfhaut. Er las den Text wieder und wieder. Fritz holte eine halb volle Flasche Weinbrand und schenkte zwei Gläser voll. Eines reichte er Werdin. Der hob abwehrend die Hand. Nein, jetzt wollte er nichts trinken. Er schaute Fritz an. »Du hast das richtig entschlüsselt? Du hast den gültigen Schlüssel benutzt?«
    Fritz nickte. »Ja«, sagte er mit leiser Stimme.
    »Hast du eine Bestätigung verlangt?«
    Fritz nickte wieder. »Das ist die Bestätigung. Ich habe zweimal den gleichen Spruch erhalten. Es gibt keinen Zweifel. Moskau befiehlt, Hitler zu retten.«
    »Warum?«, fragte Werdin.
    »Darüber denke ich nach, seit ich den Spruch entschlüsselt habe. Mir kommt’s vor wie im August 1939 ...«
    »Du meinst den Pakt?«
    »Ja.« Fritz trank sein Glas in einem Zug aus. Er ging zum Fenster und schaute hinaus. Dieser Sommer hätte die Deutschen verwöhnt, wenn sie nicht Krieg führen würden. »Du weißt, ich habe damals gezweifelt und mir dafür meine Prügel abgeholt.«
    »Ich habe damals auch gezweifelt. Aber Paul hat gesagt, ich soll meine Klappe halten. Wir könnten uns Streit in den eigenen Reihen nicht leisten. Paul hat gesagt: Der Kommunismus schreitet über seine Irrtümer voran. Paul war der größte Ketzer von allen. Aber er hat geschwiegen und gekämpft. Stalin ist nicht unsterblich, hat er gesagt. Paul

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