Der 21. Juli
hat Rosa Luxemburg kurz vor ihrer Ermordung kennen gelernt, und als die in Moskau anfingen, den Luxemburgismus, was immer das sein mag, auszurotten, da hat Paul das persönlich genommen. Er war kein Anhänger von Rosa, er liebte sie, auf seine ganz eigene Weise.«
Fritz schenkte sich ein neues Glas ein. »Besauf dich nicht«, sagte Werdin. »Wir brauchen jetzt einen klaren Kopf.«
Er betrachtete die Bilder an der Wand, ein Stich von Potsdam zur Zeit des Großen Fritz, ein Aquarell des Charlottenburger Schlosses. Auf dem Parkett ein schweres Perserimitat. Verschnörkelte Jugendstilmöbel, die Tapete rosa mit roten Röschen. Fritz suchte sich immer Wohnungen, die einen in ihrer kitschigen Biederkeit erstickten. Keine schlechte Tarnung, vielleicht war es aber auch Fritz’ Geschmack. Er kannte den Mann kaum, mit dem er auf Leben und Tod zusammengekettet war.
Fritz setzte sich auf das braune Sofa, die Nachbildung einer Chaiselongue. Er fuhr sich durch die fettigen Haare, schloss die Augen, öffnete sie wieder, schnaufte und sagte nur: »So eine Scheiße.«
»Was würde Paul jetzt machen?«, fragte Werdin.
»Weiß nicht.« Fritz kratzte sich am Ohr. Er zündete sich eine Zigarette an. Werdin öffnete das Fenster, die Wohnung war verqualmt. Ein warmer Wind wehte ihm entgegen.
»Paul würde sich nicht dran halten«, sagte Werdin. »Er nicht. Der Pakt von 39 hat Stalin gewiss Zeit gebracht. Aber Stalin hat in dieser Zeit ein Blutbad veranstaltet in der Roten Armee. Heydrich hat sich damals gebrüstet, er habe den großen Coup gelandet.«
»Hast du das nach Moskau gemeldet?«
»Ich bin doch nicht verrückt. Glaubst du, die hätten zugegeben, auf die SS reingefallen zu sein?«
»Und später?«
»Was heißt später?«
»Du hättest das doch 42 oder 43 melden können.«
»Da hatte ich andere Sorgen. Meinen damaligen Funker hat es bei der Aktion gegen die Rote Kapelle erwischt. Ich hatte Schiss, irgendeiner würde mich verpfeifen.«
Fritz nickte. Er blickte trübselig auf Werdin.
»Ich habe damals den Decknamen gewechselt. Seitdem heiße ich Michael.«
»Du bist ein komischer Kauz.«
Werdin lachte trocken, es klang eher wie ein Husten, »Was bleibt mir anderes übrig?« Er schaute Fritz gespannt an. »Und wenn ich es nicht tue?«
»O«, sagte Fritz mit gespielter Heiterkeit, »für diesen Fall haben unsere Genossen vorgesorgt.« Er stand auf, öffnete den Kohleofen, zog den Aschekasten heraus, griff in die Asche und hatte ein Blatt Papier in der Hand. »Ich wollte dir diese Freude nicht vorenthalten.« Diesen traurigen Ton war Werdin nicht gewohnt von Fritz. Fritz reichte Werdin das Papier.
SONDERBEFEHL FUER FRITZ VON DIREKTOR. ZWINGEN SIE MICHAEL DAS ATTENTAT UM JEDEN PREIS ZU VERHINDERN. WENN MICHAEL DEN BEFEHL VERWEIGERT LIQUIDIEREN. SIE GEBEN IN DIESEM FALL DER GESTAPO EINEN HINWEIS AUF DIE VERSCHWOERUNG.
»Wie willst du es machen? Pistole? Beil? Messer? Autounfall?«
»Ich fessle dich und lese dir aus Stalins Werken vor«, sagte Fritz.
»Dann erstickst du qualvoll.«
Er blätterte in einer Gaststätte - »Zum Goldenen Anker« - im Telefonbuch. »Mellenscheidt« war nicht eingetragen. Er fragte den Wirt, einen griesgrämigen Alten mit einer fleckigen Schürze vor dem Wanst, aber der wusste nichts oder wollte nichts wissen. An einem Zeitungsstand sprach er eine Frau mittleren Alters mit schmutzig-braunen Haaren an, ob sie eine Familie Mellenscheidt kenne.
»Ah, der Herr Hauptmann, ja, ich kenne die Dienstränge unserer tapferen Wehrmacht. Sagen Sie, Herr Hauptmann, Sie müssen es doch wissen, wann kommen unsere Wunderwaffen?«
»Bald«, sagte Zacher. »Kennen Sie die Mellenscheidts?«
Die blassblauen Augen der Frau glänzten. »Wusste ich es doch, unser Führer lässt die Feinde ganz nah kommen, um sie dann auf einen Schlag zu vernichten. Wie sollen wir die Russen schlagen, wenn die sich hinterm Ural verstecken?«
Zacher entdeckte das Abzeichen der NS-Frauenschaft am Blusenkragen. »So ist es«, sagte er und tat überzeugt. »Unser Führer weiß immer ganz genau, was er tut.«
»Dann hat der Doktor Goebbels ja wieder hundertprozentig den richtigen Ton getroffen. Ja, in der Haut der Amis und der Russen möcht ich jetzt nicht stecken. Sind ja selber schuld, hätten uns nur das lassen sollen, was uns mit historischem Recht zusteht.«
Zacher wusste nicht, ob er lachen oder wütend werden sollte.
Mit historischem Recht! Da hatte die Frau ja einen tollen Spruch aufgeschnappt.
»Mellenscheidt?«, fragte
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