Der 21. Juli
auftauchte und die Leitung übernahm. Er war alles in einem, Anführer, Antreiber und Tyrannenmörder. Fromm, die Cognacflasche schon erleichtert, weigerte sich, Walküre auszulösen. Nicht bevor er persönlich überzeugt sei vom Tod des
Führers. Mertz von Quirnheim setzte Walküre trotzdem in Kraft, in eigener Verantwortung, hinter dem Rücken seines Mitverschwörers General Olbricht, des Vertreters von General Fromm, der als Chef des Ersatzheeres als Einziger dazu bevollmächtigt gewesen wäre. Keiner setzte Fromm die Pistole an den Kopf, keiner machte ihn mundtot, jeder tat so, als hätte alles seine Ordnung. Rettheim war verzweifelt, selbst mitten im Putsch waren die Dienstvorschriften heilig. Deutsch, typisch deutsch.
Rettheim drängelte sich an ein Telefon, er riss einem Offizier, der zu sprechen aufgehört hatte, den Hörer aus der Hand. Er wählte Werdins Nummer, Gott sei Dank, er war da. »Hitler ist tot, wenn Stauffenberg im Bendlerblock ist, geht es los«, sagte Rettheim. Er legte auf.
Stauffenberg erschien. Er besprach sich mit Beck und erteilte dann Befehle. Niemand hatte bis dahin daran gedacht, den Bendlerblock bewachen und das Regierungsviertel absperren zu lassen. Rettheim schlug vor, Goebbels festzusetzen. Der Propagandaminister sei gefährlich, er sitze gewiss in seiner Wohnung nahe der Reichskanzlei und organisiere den Gegenschlag. Der Befehl zur Verhaftung ging an das Wachbataillon Großdeutschland von Major Remer. Rettheim schloss sich dem Bataillon an. Er wollte sichergehen, dass alles klappte.
Remer und Rettheim trafen Goebbels in seiner Wohnung an. »Nein, der Führer lebt!«, schrie er. »Ich kann es Ihnen beweisen.« Goebbels ging zu einem Telefon, nahm den Hörer ab und wählte. Er horchte in den Hörer hinein. Dann rief er: »Ist dort das Führerhauptquartier? Hallo, Führerhauptquartier!« Er legte den Hörer auf die Gabel und sagte fassungslos: »Die Leitung ist tot.« Er humpelte ziellos in seinem Wohnzimmer umher. Dann sagte er: »Wir müssen nur einen Moment warten, dann steht die Leitung wieder. Ich sage Ihnen, der Führer lebt!
Ich spüre das. Sie sind hereingefallen auf eine Verschwörung. Sie können gleich mit dem Führer selbst sprechen.«
Remer erwiderte kalt: »Herr Minister, im Namen des Oberbefehlshabers der Wehrmacht, des Generalfeldmarschalls von Witzleben, Sie sind verhaftet. Folgen Sie mir freiwillig, sonst muss ich Gewalt anwenden.«
Goebbels setzte an, etwas zu sagen, dann schloss er den Mund wieder. Rettheim beobachtete, wie der Widerstand des kleinen Ministers zusammenbrach. Der gerade noch straffe Rücken krümmte sich. Dann gab sich Goebbels einen Ruck, er sagte: »Herr Major, Sie tragen die Verantwortung für diesen Übergriff.«
***
Werdin erschrak. Er hatte diesen Tag ersehnt, aber jetzt stand er an einem neuen Abgrund. Jeden Augenblick konnten Wehrmachtsoldaten die Quartiere der SS in der Prinz-Albrecht-Straße und in der Wilhelmstraße abriegeln. Himmler allerdings war in seinem Sonderzug in Ostpreußen und hatte freie Hand, kein Verschwörer konnte ihn hindern, seine Truppen in Stellung zu bringen. Göring, Hitlers Erbe, vermutete Werdin in Karinhall. Von ihm war nichts zu erwarten, aber sein erster Mann, der Luftwaffenfeldmarschall Milch, was würde er tun? Milch war das Gegenteil seines fetten Chefs, klug und entschlussfreudig. Die Luftwaffe mochte wenig gegen den Bomberstrom der Westalliierten ausrichten. Würde sie gegen die Putschisten eingesetzt, war sie eine gefährliche Waffe. Was würde Kaltenbrunner tun, wenn Soldaten versuchten, ihn festzusetzen? Würde er schießen lassen? Würde er die in Berlin und Umgebung stationierten Einheiten der SS rufen?
Werdin griff zum Telefonhörer, Schellenberg war da. Keine fünf Minuten später saß er beim SD-Chef. »In Paris und Wien haben sie unsere Leute festgesetzt«, sagte Schellenberg. »Ich habe mit dem Reichsführer telefoniert. Er hat befohlen, keine Gegenmaßnahmen einzuleiten, aber wachsam zu sein. Im ganzen Reich und an der Front warten unsere Leute auf den Befehl des Reichsführers.«
»Darf ich offen sein?«, fragte Werdin.
Schellenberg nickte.
»Hitlers Testament bestimmt, dass Göring ihm nachfolgen soll.
Göring ist Morphinist und ein Verlierer. Die Luftwaffe hat die Schlacht um England verloren, und damit hat das Desaster begonnen.«
Schellenberg lächelte. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Dass jemand anders Deutschland führt.«
»Wer? Der Reichsführer?«
Werdin zuckte mit den
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