Der 21. Juli
Wohnungstür klopfte und klingelte er zugleich. Er rief laut: »Fritz! Fritz!«
Die Tür öffnete sich. »Ich weiß es schon«, sagte Fritz.
»Hau ab«, sagte Werdin.
»Nein«, sagte Fritz. »Ich kann nicht mehr.«
»Du bist verrückt, die bringen dich um.«
»Ich bin schon längst tot. Moskau will mich umbringen, die SS will mich umbringen. Und vielleicht will auch ich mich umbringen. So sind denn alle Interessen glücklich miteinander vereint.« Fritz lachte verbittert. »Wo soll ich hin? Es ist aus. Für sportliche Höchstleistungen bin ich nicht geboren. Ich werfe mir eines vor, ich bin zu feige, um Schluss zu machen. Ich bin sogar zu feige, dich darum zu bitten. Warum, verdammt, hänge ich an meinem verpfuschten Leben?«
Fritz war mit den Nerven am Ende. Jahrelang die Angst vor den Häschern. Jetzt hatten sie ihn gestellt. Wie sollte er ihnen entkommen? Wo sollte er sich noch verstecken? Entscheidend aber war, Fritz hatte seinen Glauben verloren. Es gab nichts mehr, für das es sich lohnte, Angst zu haben. Er war betrogen worden. Solange es Hitler gab, hatte er gegen ihn gekämpft. Und dann befahl Moskau, sein Leben zu schonen.
»Hitler ist tot, Fritz! Versteck dich, hau ab, es wird sich vieles ändern.«
»Solange die SS mit im Boot ist, ändert sich für mich gar nichts. Für dich übrigens auch nicht. Knut, mach, dass du wegkommst, gleich sind sie hier.«
Werdin staunte, doch er verstand Fritz. Ihm selbst ging es nicht viel anders. Auch er hatte alle Zwecke verloren. Wie ein Schemen stand ihm Irmas Gesicht vor Augen, als sie sich noch einmal umdrehte in der Tür des Café Kranzler. Dieser Blick. Dann war der Schemen verschwunden. Er nahm Fritz auf der Türschwelle in den Arm, drückte ihn einmal fest und rannte die Treppe hinunter. Kurz vor dem Ausgang stieß er auf zwei Gestapoleute, der eine hielt ihn an. »Kennen Sie diesen Mann?«, fragte er und hielt ihm eine gedruckte Zeichnung unter die Nase, die Fritz darstellte. »Nein«, sagte Werdin, »den kenne ich nicht.« Er zog seinen SD-Ausweis hervor und sagte: »Ich bin dienstlich unterwegs.« Die beiden Beamten nahmen Haltung an. Er grüßte lässig zurück und verließ das Haus. Am Ende der Straße drehte er sich um. Fritz zwischen zwei Gestapobeamten, die ihn zu einem Wagen führten. Der eine holte aus und schlug Fritz mit der Faust ins Gesicht. Fritz sackte zusammen. »Tschüs, mein Freund«, sagte Werdin leise. Seine Augen wurden feucht. Er wandte sich ab und trocknete seine Tränen mit einem Taschentuch.
Du musst jetzt die Nerven behalten, ermahnte er sich. Auf der Rückfahrt nach Hause bedachte Werdin seine Lage. Es wurde eng. Ob Fritz ein verschärftes Verhör durchhielt? Wie lange? Würde Fritz ihn verraten? Er spürte keinen Zorn bei dieser Idee, er wusste, wozu die Gestapo fähig war. Vielleicht schafften die neuen Herren, wer immer es wäre, die Folter ab? Aber ob sich die SS dann daran hielte? Wieder erschien Irmas Gesicht. War er am Ende? Wirre Gedanken. Er stieg um in eine S-Bahn, die ihn nach Biesdorf brachte.
Lawrentij Berija tobte. »Können Sie mir sagen, was das heißt, Genosse Grujewitsch? Adolf Hitler ist einer englischen Bombe zum Opfer gefallen, behauptet der deutsche Rundfunk. Ich glaube das nicht. Obwohl Sie es verhindern sollten, wurde der
Anschlag durchgeführt. Hitler ist tot. Erklären Sie mir das, Genosse Grujewitsch!« Er zischte den letzten Satz heraus wie eine Schlange.
»Genosse Berija, wir haben nichts gehört.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen! Das ist das Einzige, was ich sicher weiß.« Berija starrte Grujewitsch scharf an.
»Wir haben vor drei Tagen einen Bericht aus Berlin bekommen. Fritz und Michael tun alles, um ein Attentat zu verhindern. Sie haben uns noch nie belogen.«
»Und seitdem haben Sie nichts mehr aus Berlin gehört, Genosse Grujewitsch?«
»Nein«, sagte Grujewitsch kleinlaut.
»Und wie erklären Sie mir das?«
»Vielleicht ist das Funkgerät kaputt, vielleicht mussten sie umziehen ...«
»Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Um zu raten, brauchen wir keinen Nachrichtendienst.«
»Wir werden es in den nächsten Tagen bestimmt erfahren. Vielleicht war es ja doch eine Fliegerbombe?«
»Das hoffe ich sehr, vor allem für Sie«, sagte Berija. »Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie herausbekommen, was in Berlin los ist.«
Grujewitsch war verzweifelt. Wenn sich Fritz nicht spätestens bis morgen meldete, war die Hölle los. Er ging mit Iwanow um den Dserschinskiplatz. Die Bürgersteige
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