Der 21. Juli
waren glitschig, Dreck vermischte sich mit Regen. Das Wetter entsprach Grujewitschs Laune. Dann sagte Iwanow: »Und wenn wir zwei Fallschirmagenten rüberschicken? Wir haben noch eine Gruppe, die auf ihren Einsatz wartet. Deutsche Kommunisten. Die falschen Papiere sind fertig. Wir könnten sie heute Abend losschicken. Es gibt in Potsdam noch eine verdeckte Anlaufstelle, die letzte.«
Grujewitsch lachte trocken. »Dann schicken wir auch die in den Tod. Du weißt, wir haben mit Fallschirmagenten miese Erfahrungen gemacht.«
»Meistens, aber nicht immer. Wenn sie begrenzte Aufträge hatten, hat es gut geklappt ...«
»Aber nur, wenn sie aus dem Landegebiet wegkamen.«
Iwanow nickte. Er kannte die Verlustquote. »Wenn Hitler wirklich tot ist, gibt es eine heillose Verwirrung, wenigstens für eine bestimmte Zeit.«
Hoffentlich redet er sich nichts ein und mir auch nicht, dachte Grujewitsch. Solange Krieg ist, werden die Deutschen aufpassen, dass wir ihnen keine Flöhe in den Pelz setzen. Ihre Spionageabwehr ist erstklassig. Sie haben uns genau studiert, und wir haben unsere Methoden nicht weiterentwickelt. Aber was sollte man machen? Sie konnten versuchen, Leute durch die deutsche Front zu schmuggeln, aber im rückwärtigen Gebiet der Ostfront kontrollierte die Feldgendarmerie, die rochen Spione schon auf zwei Kilometer Entfernung. Und sie konnten Leute per Fallschirm nach Deutschland schicken. Das hatte den Vorteil, dass man ihnen Material wie etwa Funkgeräte mitgeben konnte. Alles andere war utopisch. Wenn er Iwanows Vorschlag folgte und wenigstens ein Fallschirmagent durchkam, waren sie ein gutes Stück weiter. Wenn der Agent Fritz nicht fand, weil der umgezogen oder erwischt worden war, dann konnte er sich an Michael halten, an den Sturmbannführer Knut Werdin. Auf welcher Seite stand der? Sie mussten es herausbekommen. Berija wollte es wissen, und er wollte es nicht aus einer Propagandasendung von Joseph Goebbels erfahren: »Bolschewistischer Spion enttarnt« oder, schlimmer noch: »übergelaufen«. Grujewitsch war nicht wohl bei dem Gedanken, aber er wusste, er musste es herausfinden, und wenn es nur darum ging, die eigene Haut zu retten.
Der Tag war schon mies, da kam es kaum noch darauf an, dass Gawrina sich mühte, ihn aufzustacheln, er möge seine Karriere mit mehr Elan betreiben. Das hatte ihm heute noch gefehlt. Er durfte ihr nicht sagen, dass er froh sein würde, seinen Lebensabend nicht in einem sibirischen Lager erwarten zu müssen. Karriere, was interessierte ihn seine Karriere? Es ging um seinen Kopf. Wüsste Gawrina, dass ihr Held auf dem besten Weg war, als Versager zu enden, sie hätte einen ihrer Ausbrüche bekommen, die Grujewitsch fast so fürchtete wie Berijas Zischen.
»Ich werde früh genug General«, sagte er verärgert, aber doch mit der Absicht, Gawrina zu beruhigen.
»Du musst etwas dafür tun, Boris. Du musst deine Vorgesetzten auf dich aufmerksam machen. Mehr arbeiten, mehr Erfolge, mehr Vorschläge.« Sie war ein bisschen zu laut.
»Dann komme ich vor lauter Arbeit gar nicht mehr nach Hause«, erwiderte Grujewitsch. Er zwang sich, ruhig zu bleiben. »Es wird doch jetzt oft so spät. Willst du mich gar nicht zu Hause haben?«
»Doch, Boris, aber wenn du General bist, wirst du mehr Zeit haben. Dann kannst du andere für dich arbeiten lassen.«
»Wenn es so einfach wäre. Wir haben in der Sowjetunion nur einen Chef, Stalin. Der arbeitet in der Nacht, also arbeiten alle in der Nacht. Es könnte ja sein, dass Stalin anruft. Unter Stalin ist Berija, auch er arbeitet nachts, damit Stalin ihn immer erreichen kann. Ob ich nun Oberst oder General bin, das ist Berija egal. Wenn ich Glück habe, bin ich bald Chef der Aufklärung, aller Kundschafter der Sowjetunion in der Welt. Dann habe ich noch mehr Arbeit als heute.«
»Aber wir werden dann auch besser versorgt.«
»Ja«, stöhnte Grujewitsch.
Er holte sich die Flasche Wodka, die er in einem Korb auf der Fensterbank kühl hielt. Er goss sich und Gawrina hundert Gramm ein und trank sein Glas in einem Zug leer, ohne mit ihr anzustoßen. Sie saß am Küchentisch und starrte an die Wand. Grujewitsch erriet nicht, woran sie dachte. An diesem Abend wehrte er sich nicht mehr gegen das Gefühl, dass sie ihm fremd wurde. Vielleicht war sie es aber schon immer, und er hatte es nicht gesehen. Sie tranken an diesem Abend zu viel Wodka, keiner sagte etwas, an das sich der andere am nächsten Morgen erinnern würde.
Verdammte Scheiße, jetzt
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