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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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hatten sie Fritz, aber der Führer war tot. Was würde nun kommen? Krause war unsicher, ob er aus seinem Fang noch alles herausholen konnte. Obwohl jede deutsche Regierung wenig erfreut wäre über Sowjetspione. Aber vielleicht dürften sie bald nicht mehr foltern, vielleicht würde die Gestapo aufgelöst, vielleicht gäbe es bald eine neue Spionageabwehr? Vielleicht würde sich die Wehrmacht alles unter den Nagel reißen? Krause schwankte zwischen Angst und Hoffnung. Wieder und wieder ließ er sich die Lage durch den Kopf gehen. Was ist die Wehrmacht? Sie ist gespalten in eine kleine Gruppe von Umstürzlern, die an der Westfront einigen Anhang hat, und den großen Rest. Wenn die Sache allein in der Wehrmacht ausgetragen würde, hätten die Putschisten keine Chance. Sie hätten die Ostfront gegen sich, dort standen fast achtzig Prozent der deutschen Streitkräfte. Wenn sich die SS auf die Seite von Stauffenberg und Kameraden stellte, sähe die Sache anders aus. Krause wusste, Himmler würde kräftig mitmischen in dem Chaos, das die Putschisten angerichtet hatten. Er würde dafür sorgen, dass seine SS ungerupft davonkam. Im Notfall würde er sich mit Göring zusammentun, dem offiziellen Erben des Führers. Dann wäre auch die Luftwaffe mit von der Partie. Jeder, der dem Führer nachtrauerte, würde auf Göring hören, auch wenn der ein aufgeblähter Morphinist war.
    Aber er war nicht stark genug, sein Ruf bei der Wehrmacht war seit Stalingrad unübertrefflich schlecht, er wäre immer auf die SS angewiesen. Wie man es drehte und wendete, ohne SS lief nichts. Das klang auch durch, als Müller heute früh von einem Anruf des Reichsführers berichtete. Nein, es waren gefährliche Zeiten, aber sie hatten gute Chancen.
    Krause trank einen Schluck seines erkalteten Kaffees. Er zündete sich eine weitere Zigarette an und begann in seinem Zimmer auf und ab zu laufen. Kurz schaute er hinunter auf die Prinz-Albrecht-Straße, nichts war zu sehen, jedenfalls nichts, was seinen Verdacht erregte. Komisch, als wäre nichts passiert. Und wie weiter?
    Sie hatten schon ein erstes Rauchsignal gesetzt, den Putschisten am 20. und 21. Juli durch technische Tricks den Zugang zu den Radiostationen verbaut. Außerdem dachte das Personal nicht daran, sich den Umstürzlern anzudienen. Je mehr vom Attentat durchsickerte, desto stärker die Empörung. Inzwischen drängte es die Verschwörer auch nicht mehr zum Mikrofon. Sie hatten verstanden, dass sie mit den Mächtigen des Reichs verhandeln mussten. Würden sie Appelle ans Volk richten, legten sie sich fest. Was glaubten die Herren eigentlich? Dass die Wehrmachtführung, der Reichsmarschall und der Reichsführer-SS nach der Pfeife eines kleinen Obersten namens Stauffenberg tanzen? Lächerlich.
    Himmler ließ sich nicht in Berlin blicken. Er saß in seinem Sonderzug »Heinrich« in Ostpreußen am Telefonapparat und koordinierte die Aktionen der SS. In Paris und Wien hatten ein paar eifrige Wehrmachtoffiziere Gestapo und SD festgesetzt, sonst waren keine Übergriffe gemeldet worden.
    Am 21. und 22. Juli hatten die Putschisten begriffen, dass sie nicht viele Unterstützer hatten. Sie trauten sich nicht einmal öffentlich einzugestehen, dass sie Hitler umgebracht hatten. Es hieß, er sei einem englischen Fliegerangriff zum Opfer gefallen. So meldete es auch der Rundfunk. Die Verschwörer wussten so gut wie Krause, die Deutschen liebten ihren Führer immer noch. Wenn einer sie vor der drohenden Katastrophe bewahren konnte, dann nur Hitler. Krause staunte immer wieder, wenn er Berichte über die Stimmung in der Bevölkerung las. Es müsste längst jedem Idioten klar geworden sein, dass Hitler nicht die Erlösung brachte, sondern den Untergang. Und doch war der Führer für die meisten immer noch der liebe Gott oder wenigstens sein Vertreter auf Erden. Nach seinem Tod würde er es noch mehr sein als zu Lebzeiten. Krause fragte sich, ob die Verschwörer überhaupt über den 20. Juli hinaus gedacht hatten. Sie mussten doch wissen, dass der Zorn von Millionen von Deutschen sich gegen die Mörder ihres Ersatzgottes richten würde.
    Nun war der elegante Karl Wolff, Himmlers Liebling, bei Goerdeler, Beck und Stauffenberg im Bendlerblock und verhandelte über einen Kompromiss. Einen ersten Erfolg hatte er schon erzielt, die in Paris und Wien gefangenen Kameraden von Gestapo und SD waren wieder auf freiem Fuß. Inzwischen hatten sich auch Emissäre von den Fronten gemeldet, im Oberkommando herrschte ein

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